Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen
Couch bei einer Tasse Kamillentee von den Strapazen erhole – wir hatten beim Fliegen ziemlich heftige Turbulenzen –, klingelt es an der Tür.
»Ich geh schon«, sagt Luisa. Ein paar Sekunden später schiebt sie Barnie ins Wohnzimmer. So weiß um die Nase habe ich ihn noch nie gesehen. Er würde ein respektables Schlossgespenst abgeben. In Kombination mit den dunklen Augenringen sieht er echt furchtbar aus.
»Tee?«, frage ich und halte ihm meine Tasse hin.
»Schnaps!«, bittet Barnie.
»Haben wir Schnaps?«, will ich von Luisa wissen, die hinter Barnie in der Tür stehen geblieben ist.
»Seit eurem Champions-League-Abend nicht mehr.« Ich erinnere mich dunkel, dass wir zur Frustbewältigung den Grappa von Luisas Onkel vernichtet haben. Sie schlägt vor, dass wir, Barnie und ich, spazieren gehen. »Ein bisschen frische Luft tut euch beiden gut.«
»Ich will nicht spazieren gehen.« Barnie guckt mich böse an, obwohl der Vorschlag gar nicht von mir kam.
Ich will eigentlich auch lieber daheimbleiben. Aber ich traue mich nicht, Luisa zu widersprechen. Sie guckt noch eindringlicher als Barnie. »Komm schon, alter Knabe«, sage ich also. »Gehen wir ein paar Meter. Wird uns schon nicht umbringen.«
Wir stranden auf dem Alten Südfriedhof, in dessen Erde die Münchner Prominenz von anno dazumal begraben liegt: Wissenschaftler, Schriftsteller, Schauspieler, Maler. Wahrscheinlich ist das der friedlichste Ort der Stadt. Wenn ich nachdenken will, gehe ich oft hierher, nehme auf einer Bank Platz und genieße inmitten der Bäume und Gräber die Ruhe. Ich gebe Barnie Zeit, sich zu sammeln. Einfach drauflosquatschen bringt nichts. Man verzettelt sich, kommt vom Hundertsten ins Tausendste, und am Ende weiß keiner mehr, was Sache ist.
Nach fünfzehn Minuten durchbricht er mit einem lauten Räuspern tatsächlich die Stille. »Die Sache ist die«, beginnt er, um schon im nächsten Moment wieder zu verstummen. Es gibt Menschen, die können Ruhe nicht aushalten, die sind ständig in Bewegung, haben immer ihre Klappe offen. Barnie und ich gehören nicht dazu. Und so vergehen weitere fünfzehn Minuten, bis Barnie doch noch seinen Lagebericht abgibt.
Er hat vor drei Monaten in einer Bar eine betrunkene Frau aufgerissen, ist mit zu ihr nach Hause, sie hatten Sex, letzten Freitag dann der Anruf, sie sei schwanger. Weil Barnie der erste und einzige Mann nach einer schmutzigen Scheidung war, komme nur er als Erzeuger infrage. Irgendwie hatte sie in ihrem Zustand wohl vergessen zu verhüten.
»Und du?«, frage ich.
»Was ich?«
»Kondom«, liefere ich das Stichwort.
»Ich war dicht wie ’ne Panzerhaubitze.«
Das entschuldigt natürlich alles.
»Sie sagt, sie will das Kind.« Barnie stiert vor sich hin.
»Wer ist sie?«
»Lilly Haart.«
Ich runzle die Stirn und krame in meinem Gedächtnis. »Muss man die kennen?«
»Warst du schon mal angeklagt?«
»Verstehe ich jetzt nicht.«
»So vor Gericht.«
»Nein, warum?«
»Dann kennst du sie wahrscheinlich nicht.«
»Hilf mir auf die Sprünge.«
»Lilly ist Staatsanwältin«, murmelt Barnie.
»Staatsanwälte küsst man nicht.« Mehr fällt mir dazu spontan nicht ein.
In einer der urigsten Wirtschaften der Stadt, dem Fraunhofer im Glockenbachviertel, bestellen wir zur Feier des Tages Schweinsbraten mit Knödel. Am Nachbartisch sitzt eine Dame, die ich aus dem Fernsehen kenne. Sie moderiert eine Volksmusiksendung im Dritten, also echte Volksmusik, nicht volkstümliche Musik. Kein Florian Silbereisen, Stefan Mross und auch keine Stefanie Hertel. Mehr so Hausmusik. Sie war mal in meiner Praxis, hat dann aber doch nichts machen lassen. War auch nicht nötig, was ich ihr genau so gesagt habe. Man darf nicht erwarten, ohne eine einzige Falte die vierzig zu überschreiten. Wir nicken uns sehr kurz zu, bevor sie schnell in eine andere Richtung blickt. Ich höre noch, wie sie einen Rotwein bestellt, aber einen ganz guten, und ein großes Glas Leitungswasser.
Das dritte Bier lockert Barnies Zunge. Heraus kommt, dass er nicht nur Angst hat, sondern richtig Schiss. Nicht nur vor seiner Vaterrolle, sondern auch vor Lilith Haart, wie Lilly Haart ausgeschrieben heißt. Vor meinem geistigen Auge flimmert das Bild einer Domina in Lack und Leder mit einer Reitgerte in der Hand. Ausgesprochen streng sei sie, meint Barnie. Streng und direkt. Zudem groß, schlank, blonde Haare, Business-Look. »Extrem selbstbewusst!«
Klingt ja erst mal gar nicht schlecht.
»Die redet nicht lang um den
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