Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen
Olympiaturm aufhängen. Dann geht Marie an ihren Kleiderschrank und macht auf ihrem Bett einen kleinen Stapel mit Blusen, Socken, Pullovern, Hosen und Unterwäsche. Ich stehe daneben und versuche minutenlang, mit den Zähnen die Packung der einbruchsicher eingeschweißten Zahnbürste zu öffnen. Aber irgendwann frage ich doch. »Was machst du da?«
»Ich suche Kleider für dich. Du kannst doch nicht jeden Tag im gleichen Outfit zur Arbeit kommen. Die hier müssten dir passen.«
»Ach, Marie. Ich muss gleich wieder weinen. Du leihst mir sogar deine Unterwäsche?«
»Nur die, die man bei neunzig Grad waschen kann«, grinst Marie. »Da hört die Freundschaft auf!«
In der Nacht liege ich wach und höre meiner Freundin beim Atmen zu. Immerhin schnarcht sie nicht, das ist ein entscheidender Vorteil gegenüber Mark. Aber der Kuschelfaktor ist deutlich geringer, auch wenn ich über den Schlafplatz an ihrer Seite froh bin.
Die nächsten zwei Tage bringe ich wie in Trance hinter mich. Ich habe mein Handy ausgeschaltet und mit niemandem außer Marie über Mark gesprochen. Morgens krieche ich auf dem Zahnfleisch ins Büro, abends komme ich müde in Maries gemütliche kleine Wohnung. Aber wenn es Nacht wird, kann ich nicht schlafen. Marie versorgt mich mit Essen, hat offenbar alle melancholischen CDs versteckt und schaut mit mir Dirty Dancing an, bis wir am Ende beide vor Rührung weinen. Also, Marie vor Rührung, ich eher aus Enttäuschung und Wut. Aber das hat nichts mit Patrick Swayze zu tun. Den Mädelsabend am Mittwoch lassen wir ausfallen – mir ist nicht nach Gesellschaft.
Allmählich muss ich darüber nachdenken, wie es weitergehen soll. Ich muss meiner Mutter absagen für das Wochenende in Südtirol. Ich muss mir eine Wohnung suchen, ich kann ja nicht ewig bei Marie wohnen bleiben. Und ich muss meine Sachen abholen, das ist das Erste und Schlimmste. Ich will nicht in die Wohnung. Meine Fantasie schlägt grausame Kapriolen davon, wie ich Mark und Franziska nackt auf dem Küchentisch vorfinde.
Am Donnerstagabend hat Marie gerade Der Club der Teufelinnen in den DVD-Player geschoben, als es an der Tür klingelt. Sie geht öffnen, kommt aber sofort mit rotfleckigem Gesicht zurück ins Wohnzimmer. »Es ist für dich.«
»Ist es Mark? Ich will ihn nicht sehen, Marie, das hab ich doch gesagt.«
»Es ist nicht Mark«, erwidert Marie und lässt sich aufs Sofa fallen. Sie wirkt wütend.
Im Türrahmen steht ein Blumenstrauß auf zwei Beinen. Aber die Beine gehören nicht meinem Verlobten.
»Hallo«, begrüßt mich Barnie und lässt die Blumen sinken. Er sieht recht kläglich aus, aber das liegt wohl an Maries Verachtung.
»Was machst du denn hier?«
»Dich suchen. Darf ich reinkommen?«
Ich nehme Barnie mit in die Küche, damit Marie ihn nicht mehr sehen muss. »Wie hast du mich gefunden?«
»Mit Ausdauer. Ich war vorher schon bei Anna und bei Verena zu Hause. Diese Möglichkeit hier habe ich mir bis zum Schluss aufgehoben«, gesteht Barnie und grinst schief.
»Warum bist du hier und nicht Mark?«
»Die Blumen sind von Mark«, beeilt Barnie sich zu sagen. »Aber es hat seine Gründe, dass ich hier bin. Ich muss unter vier Augen mit dir sprechen.«
»Worüber?«
»Franziska.« Barnie holt tief Luft und schaut mir tief in die Augen. »Ich werde jetzt meine ärztliche Schweigepflicht missachten, und wenn du mich verpfeifst, verliere ich meine Zulassung. Ich bitte dich also, niemandem etwas zu sagen. Was ich dir erzähle, bleibt in diesem Raum.«
»Okay.«
»Danke. Hör zu, ich habe Franziska vor acht Jahren kennengelernt. Sie war eine meiner ersten Patientinnen.«
Ich höre Barnie schweigend zu und starre dabei die Blumen an, die auf dem Tisch liegen.
»Franziska hat, jetzt mal für Laien ausgedrückt, alles, was sie sozial unverträglich macht. Im Fernsehfilm würde man sie eine Soziopathin nennen. Die Objekte ihrer Begierde wechseln relativ schnell, oft schon nach wenigen Wochen oder Monaten. Aber sie verfolgt sie mit umso mehr Hartnäckigkeit. Ihr ist wirklich jedes Mittel recht.«
»Offenbar war deine Behandlung nicht sehr erfolgreich.«
»Doch, das war sie, relativ gesehen. Davor war Franziska in der Psychiatrie, weil sie sich so verrückt aufgeführt hatte. Sie hat ein Huhn in der Aula der Universität geschlachtet und das Blut und die Federn überall verteilt, um die Aufmerksamkeit eines ihrer Professoren zu gewinnen. Ich habe sie zwei Jahre lang behandelt, dadurch konnte sie wenigstens ein
Weitere Kostenlose Bücher