Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen
besser.«
Wir gehen früh ins Bett. Morgen ist auch noch ein Tag, beschließen wir. Und ich muss drei Nächte Schlaf in einer nachholen. Wir kuscheln noch ein bisschen, schlafen aber ziemlich schnell ein. Erst bin ich mir nicht sicher, ob ich träume, aber das Fauchen und Zischen und Rütteln wirkt ziemlich echt. Ich öffne meine Augen. »Was ist?«, frage ich halb tot. »Ich bin doch gerade erst eingeschlafen.«
»Du schnarchst.«
»Oh«, entschuldige ich mich und drehe mich auf die Seite. Gelegentlich schnarche ich. Schuldig. Kein Drama. »Weiterschlafen!«
»Jetzt kann ich nicht mehr.« Luisa ist sauer. Sie schlägt die Bettdecke zur Seite und steht auf. Ich denke, dass sie nur kurz aufs Klo geht. Als sie aber nach zehn Minuten immer noch nicht zurück ist, mache ich mir Sorgen. Die Episode auf Sylt kommt mir in den Sinn, als ich sie suchen musste. Heute finde ich sie schneller. Luisa sitzt in der Küche, vor ihr ein Glas Kakao, an ihrem Ohr das Telefon. »Tutto bene adesso. A domani«, sagt sie, simuliert einen Kuss und legt auf.
»Was wollte deine Mutter?«, frage ich misstrauisch.
»Nichts. Ich habe nur wieder zugesagt.«
»Für was?«
»Südtirol!« Luisa runzelt die Stirn.
Ich lächle gequält. »Ah, Südtirol«, verleihe ich meinem Enthusiasmus Stimme. »Das hatte ich vergessen.« Verdrängt trifft es eher. Ich hasse diesen Ausflug schon jetzt. Luisas Mutter ist nett, aber der Vater. »Wann soll’s losgehen?«
»Ich treffe mich erst noch zum Brunch mit Lilly. Am Nachmittag also.«
»Noch mal.«
»Am Nachmittag«, wiederholt Luisa.
»Nein. Das davor.«
»Ich treffe mich mit Lilly. Zum Brunch.«
Ich fasse es nicht. »Warum?«, will ich wissen.
»Ach, ein paar Dinge besprechen. Baby, Hochzeit und so.«
»Aha.«
»Kannst gern mitkommen.«
»Ich passe.«
Versteh einer die Frauen! Bis vor fünf Sekunden war ich der festen Überzeugung, Luisa und Lilly könnten einander nicht ausstehen. Und jetzt gehen die beiden fröhlich frühstücken, dann sicher shoppen, wie ich meine Verlobte kenne. Ein nettes Brautkleid hier, ein paar Babyschühchen da. Und die Welt ist ein buntes Einkaufsparadies.
Luisa schnarcht. Wie immer. »Ich schnarche nicht«, behauptet sie kategorisch. »Da kannst du meine Exfreunde fragen.«
Na klar. Die klingele ich alle durch. Ich finde, vom Schnarchen geht die Welt nicht unter. Aber Luisa misst mit zweierlei Maß. Argumente zählen nicht, nur Gefühle. Sie kann manchmal sehr störrisch sein und behauptet dann gern das Gegenteil des Offensichtlichen. Ihre Mutter sagt, das hätte sie von ihrem Vater. Der sei auch ein Sturkopf und Dickschädel und wisse immer alles besser.
Viel hat Luisas Vater mit mir noch nie geredet. An den wenigen Malen, die wir uns getroffen haben, gab er mir kurz die Hand – um mich anschließend komplett zu ignorieren. Einmal sagte er, dass ich seine Tochter ja gut behandeln solle. Ein anderes Mal verkündete er lauthals, dass er sich einen Landsmann als Schwiegersohn wünsche.
Da sein Sohn nicht schwul und seine Tochter mit mir verlobt ist, werden wir ihn wohl enttäuschen müssen. Was soll’s? Ich werde dieses Wochenende schon hinter mich bringen. Wenn Signor Conte nicht mit mir reden will, ist das auch gut. Dann schweigen wir halt zwei Tage lang oder hören den Frauen beim Reden zu. Wahrscheinlich spielt er ohnehin wieder die ganze Zeit mit seinem iPhone oder iPad oder hockt vor seinem MacBook. Ich weiß nicht genau, was er arbeitet. Wenn ich es aber richtig verstanden habe, ist er Gründer und Inhaber einer Software-Firma für Internet- und Datensicherheit. Er war als junger Mann aus Süditalien nach München gekommen, um hier sein Studium zu beenden. Danach hat er noch in London einen Doktor draufgesattelt. Mit seiner Frau ist er seit der zweiten Klasse zusammen.
Mir ist der Kerl unheimlich. Er ist stets zu gut gekleidet, zu gut gekämmt, zu gut gebräunt. Er fährt einen Alfa Romeo Spider, besitzt mehrere Wohnungen auf fast allen Erdteilen – und behandelt Luisa, als wäre sie noch immer sein kleines Mädchen. Herrgott, die Kleine wird bald dreißig und überdies meine Frau. Wegen mir braucht er nicht auf unsere Hochzeit zu kommen. Ich kann auch ohne ihn Ja sagen. Ich brauche niemanden, der mir dabei Händchen hält – außer vielleicht Barnie. Soll Signor Conte mich ruhig hassen. Ich nehme ihm nichts weg. Und überhaupt: Viele Schwiegerväter würden sich einen solchen Schwiegersohn wie mich wünschen, könnte ich mir vorstellen. Ich rauche
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