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Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen

Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen

Titel: Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Baehr , Christian Boehm
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dir zuhören.«
    »Sie kam zu mir in die Praxis. Ich hab sie sofort rausgeschmissen, aber sie hat sich an mir festgekrallt. Gerade als du aus dem Aufzug gekommen bist, hat sie mir die Zunge in den Hals gesteckt. Ich war so perplex, dass ich nicht gleich reagieren konnte.«
    Ich wende meinen Blick vom Lenkrad, das ich die ganze Zeit angestarrt habe, und schaue rüber zu Mark. Er sieht fürchterlich aus. Sein Gesicht ist so weiß wie – so weiß wie der Verband an seiner Hand.
    »Was hast du mit deiner Hand gemacht?«
    »Es ist nur eine Platzwunde.«
    »Wie, nur eine Platzwunde? Wovon?«
    »Ich habe gegen die Wand geschlagen, als du aus dem Haus gestürmt bist. Bester Altbau, dicke Mauern, steinhart.«
    »Ich wusste doch, dass ich dich weinen gehört habe.«
    Mark
    Männer weinen nicht, hat mich meine Mutter ausge schimpft, als im Kindergarten bei einer Rauferei mein Lieb lingsspielzeug kaputtgegangen ist und das Fräulein ärgerlich zu Hause anrief. In meiner kindlichen Naivität glaubte ich, meine Mutter meinte das aufmunternd. Heute weiß ich, dass es das nicht war: Männer weinen nicht. Ich bin nicht nah am Wasser gebaut, aber wenn alles zusammenkommt, sich das Schlechte zu einer Riesenwelle auftürmt und mich tsunamiartig überschwemmt, dann öffnen sich auch bei mir die Schleusen. Gerade wenn zusätzlich eine gute Portion Ungerechtigkeit im Spiel ist. Jetzt bin ich glücklich und wütend zugleich. Sollte mir Franziska je wieder unter die Augen treten, erwürge ich sie. Das Miststück geht aber jeder Konfrontation aus dem Weg. Sie hat sich unsichtbar gemacht. Wenn ich anrufe, um sie zu beschimpfen, hebt sie nicht ab. Das ist so typisch. Keine Eier in der Hose. Total konfliktscheu. Ich weiß genau, wie das jetzt abläuft. Franziska hält zwei Wochen still, hofft, dass Gras über die Sache wächst, und startet dann den nächsten Angriff. Ich schwöre, so wahr ich hier in Barnies Auto sitze, dass ich sie … Ruhig Blut. Tief durchatmen, Mark. Mord ist keine Lösung. Es ist nur so … Ich bin nur so … Bloß kein Selbstmitleid jetzt. Reiß dich zusammen. Scheiße, ich heule.
    »Hey, du Träne«, flüstert Luisa und drückt meine Hand. Wir sitzen auf der Rückbank. Luisas Kopf lehnt an meiner Schulter. Barnie steuert seinen Volvo durch München. »Alles gut.«
    »Es tut mir so leid, Luisa.«
    »Schwamm drüber.«
    »Ich meine … Ich will dir das nur erklären.«
    »Das hast du bereits.«
    »Aber … es war …«
    »Schscht.« Luisa legt ihren Zeigefinger auf meine Lippen.
    Ich weiß nicht, was Barnie ihr erzählt hat, aber es ist den Versuch eindeutig wert gewesen. Ich hatte schon fast aufgegeben. An Luisas Handy ging nur die Mailbox. Vor ihrer Firma hatte ich weder heute noch gestern noch vorgestern den Mut aufgebracht, sie anzusprechen und alles zu erklären. Die letzten Tage waren die Hölle. Gestern hat mich Charlotte heimgeschickt. »Du siehst furchtbar aus«, hat sie gesagt. »Ich sage alle Termine ab. Leg dich ins Bett. Duschen und rasieren wäre auch nicht schlecht.« Ich folgte ihr aufs Wort. Ich wäre nicht in der Lage gewesen, vernünftig zu arbeiten. Liebe ist ein sehr komplexer biochemischer Vorgang. Beim Liebeskummer ist es noch komplexer. Da gibt es keine Endorphinausschüttung. All es, was positiv war, ist plötzlich ins Gegenteil verkehrt.
    Zur Feier des Tages hole ich Essen. Chinesisch. Hühnchen und Frühlingsrollen. Kleine Reminiszenz an unseren ersten Abend in dieser Wohnung. Außerdem spendiere ich meine älteste Flasche Rotwein. Einen südafrikanischen Shiraz von 2002. Luisa und ich beschließen, nicht mehr über die letzten Tage zu reden. Sollte Franziska doch wieder auftauchen, würde sich Luisa ihrer annehmen. »Vielleicht sollten wir Lilly auf sie hetzen«, schlage ich vor.
    »Wieso Lilly?«
    »So als harte Staatsanwältin«, erkläre ich, als hätte ich gerade entdeckt, was die Welt im Innersten zusammenhält. Dabei mache ich komische Bewegungen mit meinen Handflächen in der Luft. Was das bedeuten soll, weiß ich selbst nicht. Es wirkt ein wenig unkoordiniert.
    Luisa weiß offenbar nicht, was sie sagen soll. Also schweigt sie und versucht sich an einem Lächeln, das aber eher schief gerät. Ich kenne die Bedeutung: durchgefallen. Keine so gute Idee. »Hast du abgenommen?«, wechselt sie schnell das Thema.
    »Ich? Weiß nicht. Wieso?«
    »Du hast ganz eingefallene Wangen.«
    »Ich habe drei Tage nichts gegessen.«
    »Du Armer.«
    »Verarschen kann ich mich selber.«
    »Aber ich kann es

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