Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen
ich über Mittag außer Haus bin. Dann verlassen wir die Praxis, steigen in den Aufzug und fahren nach unten.
Vor dem Haus treffen wir Barnie. Er raucht gerade eine.
»Oh, hi, Carlo«, begrüßt er Luisas Vater.
»Ihr kennt euch?«, frage ich erstaunt.
»Ja«, gesteht Carlo.
»Ist schon länger her.« Barnie unterstreicht seine Aussage mit einem Nicken. »Fällt aber unters Arztgeheimnis.«
Ich schüttle den Kopf. »Du bist kein Arzt, Barnie.«
»Dann halt Therapeutengeheimnis. Kommt aufs selbe raus. Wohin geht ihr?«
»Arztgeheimnis!«
Luisas Vater und ich spazieren durch den Englischen Garten. Wir reden über Valentina, Luisa und über Carlos Burn-out. »Ich war ein Kontrollfreak«, gibt er zu.
»Du bist ein Kontrollfreak«, stelle ich klar.
»Aber nicht mehr so schlimm wie früher. Dieser Denkwitz ist ein wirklich guter Arzt.«
»Er ist Therapeut.«
»Von mir aus, Therapeut. Ich hatte vor einem Jahr eine wirklich schlimme Krise. Ich hätte beinahe alles verloren. Meine Firma, meine Frau. Ich konnte nur nicht darüber reden.«
»Lass einfach mal locker.« Ich selbst fühle mich gerade sehr locker. Wir hocken uns auf ein Bänkchen, schauen einer Entenfamilie beim Plantschen zu. »Einfach mal nichts tun, nichts denken, die Seele baumeln lassen.« Fast hört es sich an, als ob ich das könnte. Wahrscheinlich bin ich einfach nur froh, dass Carlo mich doch am Leben lässt. Vermutlich hat ihm seine Frau nach unserer Abreise eine Standpauke gehalten. Mir soll’s recht sein.
»Weißt du, Mark«, holt er nach einer Schweigeminute offenbar zu einem längeren Monolog aus, der dann aber doch relativ knapp ausfällt. »Ich war ein Arschloch. Punkt.«
»Nein, nein. Warst du nicht.« Was rede ich da?
»Verlustangst, würde Doktor Denkwitz sagen. Meine Eltern sind bei einem Unfall gestorben, als ich zehn war. Seitdem klammere ich mich an alles, was mir etwas bedeutet. Du verstehst? Oder muss ich mich jetzt komplett vor dir entblößen?«
»Deine Hose darfst du ruhig anlassen.«
»Jedenfalls hattest du recht.«
»Schön«, sage ich. »Womit?«
»Ich war gestern beim Arzt.«
Während ich auf Luisas Rückruf warte, fummle ich ein bisschen an den unterschiedlich großen Brüsten eines sonst recht ansehnlichen Unterwäschemodels herum. Ihr Agent, so das Model, hätte gesagt, sie müsse zulegen. Also oben rum. Mindestens eine Körbchengröße, besser zwei. Den Termin in der Schönheitsklinik hat er dann auch gleich selbst eingetütet.
Ich weiß nicht, ob man das unbedingt in der Ukraine hätte machen lassen sollen. Gut gemachte Brüste haben nun mal ihren Preis. Und für billig bekommt man halt nur billig. Ich mache ein Foto für mein Album. Also, das ist jetzt kein Privatalbum, das ich abends bei einem Glas Rotwein durchblättere, wenn Luisa nicht zu Hause ist. Jeder plastische Chirurg hat so was in seinem Giftschrank. Auf Kongressen machen diese Alben gern die Runde. Zu rein medizinischen Zwecken, versteht sich.
Die Brüste fühlen sich komisch an. »Wie viel haben Sie dafür bezahlt?«
»In Euro?«, fragt die junge Frau.
»Bei Rupien kenne ich den aktuellen Kurs nicht.«
»Ich glaube, es waren Rubel. Umgerechnet fünfhundert Euro.«
»Für beide?«
»Sieht man doch.«
»Da haben Sie allerdings recht.«
Wenn ich’s mir genau überlege, sollte sie die Brust lassen, wie sie ist. Ich kenne illegale Etablissements, da bezahlen Kunden viel Geld für so was. Barnie hat mich mal in so einen Schuppen mitgenommen, als ich noch nicht mit Franziska zusammen war. Das war eine Freakshow. Und die Frau, die aussah wie ein Werwolf, war noch die attraktivste gewesen. Ich seufze.
»So schlimm?«, fragt das Model ängstlich.
»Nein«, beruhige ich sie. »Wird nur nicht ganz so billig. Ich nehme Münchner Preise.«
»Kein Problem. Ich laufe dieses Jahr für Victoria’s Secret.«
»Glückwunsch.«
»Ich werde bestimmt nie wieder knausern.«
»Jedenfalls nicht, wenn es um Ihren Körper geht.«
Als ich ihr ein paar Implantate zur Begutachtung in die Hand drücke, meldet sich Charlotte über die Gegensprechanlage. »Mark, Luisa ist am Telefon.«
»Machen Sie doch einen Termin!«, sage ich zum Model.
»Je früher, desto besser.«
»Spätestens übernächste Woche«, verspreche ich.
Die junge Frau fällt mir um den Hals. »Vorsicht«, mahne ich. »Mit den Brüsten.«
»Ich weiß. Damit könnte ich glatt jemanden erschlagen.«
»Zumindest mit der größeren.«
Es dauert eine Weile, bis Luisa mich zu Wort kommen
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