Wer ist eigentlich Paul?
er sogar ganz süß!»
Von diesem Tag an war die Falle zugeschnappt. Sascha und Oliver wurden von Sabine und Marie süß gefunden, das heißt innig geliebt und heiß und verzweifelt verehrt. Blöd nur, dass die beiden nichts davon wussten. Zwei Jahre lang ging das so. Unsere Highlights waren bescheiden, ließen uns aber tagelang in Schwärmerei und Liebe taumeln.
«Er hat ‹Hi!› gesagt!!»
«Eeeeecht? Du hast es aber gut …»
«Und wie er dabei geschaut hat …»
Sabine trat dem Leichtathletikverein bei, weil Sascha dort trainierte, und ich belegte den Kurs «Tücher und Schals gekonnt drapieren» an der örtlichen VHS, um meine Klavierstunde von Mittwoch- auf Donnerstagnachmittag verlegen zu können und somit vor Oliver an der Reihe zu sein. Nie werde ich vergessen, wie er einmal zu früh dran war und mir zuhörte, als ich Beethovens Mondscheinsonate vortrug. Mucksmäuschenstill saß er hinter mir, und ich bildete mir während des Spielens ein, er habe vor lauter Ergriffenheit Tränen in den Augen. In Wahrheit säuberte er wahrscheinlich eher seine Fingernägel und freute sich, dass ich überzog und die Zeit von seiner Klavierstunde abging.
Es war trotz ausbleibenden Erfolges eine schöne Zeit. Sabine und ich hatten ein Thema bzw. zwei Themen, über die wir stundenlang und mit nicht nachlassender Begeisterung reden konnten. Jeder Satz des Angebeteten wurde analysiert, zerlegt, interpretiert. Wir verzehrten uns vor Sehnsucht, schrieben kleine Heftchen mit schlechten Gedichten voll, verzierten alle Hefte, Ordner und Bücher in dieser putzigen Wolkenschrift mit denNamen unserer «Boys» und führten ansonsten mit Leidenschaft Listen. Diese Listen lege ich übrigens heute noch an, wenn mich ein Mann interessiert. Allerdings im Kopf, nicht mehr auf Karopapier. Damals sah das ungefähr so aus:
Oliver
Geburtstag: 28. Januar 1972 (Wassermann, super mit Waage!)
Größe: 1,86 m (perfekt)
Haarfarbe: braun
Augenfarbe: grün-braun-grau
Hobbys: Sport (Radfahren, Fußball, Volleyball, Skifahren)
Kleidung: Jeans, T-Shirt , Sweatshirt, Pulli, braune Lederjacke, Tennissocken (bäh)
Bevorzugte Musikrichtung: NDW, Rock, ABBA
Und so weiter. Was halt wichtig war, damals, mit 14 Jahren.
Heute, 14 Jahre später, hat frau mehr Möglichkeiten, technisch, finanziell und unabhängigkeitsbedingt. Deswegen nimmt der Wahnsinn noch groteskere Formen an. Lass Paul am Rande ein Buch erwähnen, das er gerade liest, irgendwann gelesen hat oder eventuell vorhat, in Zukunft zu lesen – noch am selben Tag geht bei amazon.de eine Bestellung von mir ein. Er hat sich mit Begeisterung den «Herrn der Ringe» im Kino angesehen? Klar, dass Marie am nächsten Abend vor der Leinwand sitzt. Dass sie schon ganz am Anfang der «Beziehung» seinen Namen in diverse Suchmaschinen eingespeist und höchst interessante Dinge über ihn herausgefunden hat, versteht sich von selbst. Wow, er hat beim Silvesterlauf 1997/98 den 149. Platz belegt und trug die Startnummer 41. Aha, sein virtueller Fußballverein beim Kicker Managerspiel nennt sich «FC Blutgrätsche». Wie aufschlussreich. Ui, auf der Fanseite der Toten Hosen gibt eseinen Gästebucheintrag von ihm. Ob das wohl sein Vater ist, der dem «Modelleisenbahnverein Krefeld-Oppum» vorsitzt? Und so weiter.
Ich bin noch nicht fertig. Der Alltag einer verliebten Frau hat noch mehr abstruse Tätigkeiten zu bieten. Gerne fahren wir kilometerweite Umwege und rechtfertigen sie vor uns selbst mit Argumenten wie «super Schleichweg» oder «ist am Innsbrucker Ring nicht eine neue Baustelle, die ich so umgehen kann?», um an der Wohnung des Angebeteten vorbeizufahren. Nein, wir wollen ihn nicht sehen. Wäre ja peinlich, wenn er aus der Haustür käme, und wir tuckerten dort gerade vorbei. Wir wollen nur kurz in seiner Nähe sein oder zumindest in der Nähe seiner Wohnung.
Versteht sich von selbst, dass wir das Auto, das er fährt, täglich überall zu sehen glauben. Dabei spielt es eine untergeordnete Rolle, ob er einen dunkelblauen Golf oder einen kanariengelben alten Buick fährt.
Schließlich die Krönung des Irrsinns: Nachnamen ausprobieren. Selbstverständlich werden wir im (unwahrscheinlichen) Falle einer Heirat unseren eigenen Nachnamen behalten. Trotzdem widerstehen wir der Versuchung nicht, seinen Namen mal an unseren Vornamen dranzuhängen … natürlich passen die beiden perfekt zueinander. So wie er und wir. Wenn das kein gutes Omen ist …
Damit da
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