Wer ist eigentlich Paul?
neben mir, jemanden, der mich sehr gut und lange kennt und weiß, dass ich jetzt weder reden noch Sex haben will, jemanden, der einfach nur den Arm um mich legt und mit mir einschläft.
MITTWOCH, 13. NOVEMBER 2002 – DER PROFI-TIPP DER COSMO-HURE
Das Gespräch mit Vroni über Marc-der-zum-Arschloch-mutierte geht mir nicht aus dem Kopf. Mich beschleicht ab und an das Gefühl, meine «Beziehung» mit Paul könnte aus seiner Sicht vielleicht doch eher nur sexueller Natur sein. Okay, es sagt nicht viel aus, dass wir bei unseren bisherigen Treffen fast immer miteinander geschlafen haben, und es ist sicher auch nicht weiter beunruhigend, dass wir noch nie essen waren. Eingeladen hat er mich ja schon öfter, aber es wurde nie etwas daraus. Und doch werde ich dieses Gefühl einfach nicht los. Gut, Marie,denke ich mir, wenn es so ist – wenn es so sein sollte –, welche Konsequenzen ziehst du daraus? («Konsequenzen?», höhnt die innere Stimme, «benutze keine Fremdwörter, deren Sinn du nicht kennst!») Also, was folgt für mich aus dieser möglichen Tatsache?
Version 1: Ich bin mir zu schade für so etwas, ich rufe Paul an und sage ihm das, knallhart und unmissverständlich.
Version 2: Ich versuche, die sexuelle Beziehung mit viel Geduld und Raffinesse in eine «richtige» Beziehung umzumodeln.
Version 3: Ich akzeptiere die sexuelle Natur unserer Beziehung und genieße sie einfach.
Ich muss nicht lange überlegen. Nummer 1 entspricht nicht meiner Natur, Nummer 2 klingt anstrengend und wenig erfolgversprechend. Daran haben sich schon Scharen von Frauen die Zähne ausgebissen. Also Nummer 3. Was bleibt mir anderes übrig. Und der Sex mit Paul ist wirklich sensationell. Ich muss an eine der frühen «Sex and the City»-Folgen denken. «Sex like a man» hieß die – Carrie schnappte sich ihren Verflossenen Curt, ließ sich von ihm oral verwöhnen und hatte dann, als er sich auf den Rücken legte und sich auf seinen bzw. ihren Part freute, einen dringenden Termin. Ich erinnere mich dunkel, dass ihre Strategie am Ende der Folge nicht wirklich befriedigend aufging, aber ich bin ja nicht Carrie, Paul ist nicht Curt, und Probieren geht über Studieren.
Ich angle die aktuelle «Cosmopolitan» unter dem Couchtisch hervor und lasse mich inspirieren. Wenn schon «nur» Sex, dann richtig. Also. Weiterbildung. Mhmm, ein erotischer Adventskalender. Eine Idee für jeden Dezembertag bis Weihnachten. Na ja, man muss es ja nicht gleich übertreiben. Ich will mir Paul und seine Manneskraft noch länger erhalten. Schließlich ist er schon 36. Also weiter. Ein Artikel über eine Teilzeithure, sehr interessant. Zwischentitel: «Profi-Tipp: nichts unter dem Mantel tragen törnt Männer mehr an als die schärfsten Dessous.» Aha. Ich hielt die textilfreie Frau mit Trenchcoat für ein plattesKlischee aus «Playboy»-Kurzgeschichten, aber wenn die Cosmo-Hure das empfiehlt?
Ich kann es ja mal antesten. Die innere Stimme («Da macht sich jemand jetzt komplett zum Affen!») ignorierend, entledige ich mich meiner Klamotten und schlüpfe in meinen Wintermantel. Zwischen Bad und Wohnzimmer fühlt sich das an wie ein Bademantel. Halb so schlimm. Aber wie ist es draußen? Bevor ich diese erotische Variante am lebenden Objekt (Paul) anwende, muss ein Testlauf her. Neuhausen – Staatsbibliothek und zurück, gebe ich mir vor, ich muss sowieso ein Buch holen. Blick aufs Thermometer. Knackige sieben Grad hat’s draußen. Sind Strumpfhosen unter dem Mantel erlaubt? Oder wie macht die Cosmo-Hure das ohne Blasenentzündung? Halterlose Strümpfe, beschließe ich, sind okay. Ich fühle mich wahnsinnig verrucht, als ich die Dinger endlich dort habe, wo sie hingehören. Vor den Spiegel, Mantel zu, Mantel auf – wow. Ich sehe schon Paul vor mir, wenn ich mein Geheimnis lüfte, sehe seinen gierigen Blick, das Leuchten in seinen Augen, und dann wird er … Halt. Erst der Testlauf.
Ich schlüpfe in schlichte College-Schuhe, man muss es ja nicht übertreiben, und verlasse mutig meine Wohnung. Gott sei Dank begegnet mir auf den drei Stockwerken nach unten niemand. Ich trete auf die Straße. Hui, das zieht ganz schön von unten, hallo Zystitis! Aber da muss ich jetzt durch. Ich will schon mein Auto aufsperren, da kommt mir ein Gedanke. Was, wenn ich einen Unfall habe und ins Krankenhaus muss? Der Dienst habende Sanitäter würde diesen Tag sicher rot in seinem Kalender anstreichen. Ich höre ihn schon abends in der Kneipe vor seinen
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