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Wer ist Martha? (German Edition)

Wer ist Martha? (German Edition)

Titel: Wer ist Martha? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjana Gaponenko
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Reprise des ersten Satzes!«
    »Oh ja!«, mischte sich ein errötendes Fräulein in biederem Lehrerblau ein, »Beethovens Érard-Flügel hat mit Klang und Spielart unserer Flügel sehr wenig gemein.«
    »Auch der Orchesterklang seiner Zeit«, brummte eine reich geschmückte Matrone mit ungesunder Gesichtsfarbe, »kann mit dem heutigen kaum verglichen werden.«
    »Ein Érard-Flügel und ein Steinweg! Ha!«, lachte ein gekrümmtes Großmütterchen mit einem Diamantendiadem, »Hühnerbrühe und Gulaschsuppe!«
    »Ich vernachlässige gerade so einen Hammerflügel zu Hause«, bemerkte eine verblühte Diva, »in seiner Klangfarbe ist er wie ein Cembalo, muss ich ge...«
    »Ach, humorvoll musizieren müsste man können«, unterbrach eine korpulente Dame unbestimmten Alters, »man denke nur an Beethovens Kind, willst du ruhig schlafen ! Ich lache mich tot!« (Lange nachdenkliche Pause, Verschwinden der Dicken hinter einem Vorhang.)
    »Nun ja«, belebte sich der Charmeur mit dem Backenbart, »humorvoll war ein Konzert in einem Schlösschen, bei dem ein Virtuose sein Spiel unterbrach, um zwei knackende Holzscheite in den Schnee hinauszuwerfen. Damit machte er zweien auf einen Schlag den Garaus: dem Höllenlärm im Kamin und dem Kutscher, der das Pech hatte, ausgerechnet vor diesem Schlossfenster sein Geschäft zu verrichten.«
    Eine von Lewadskis Großtanten löste sich als Erste aus der allgemeinen Schockstarre. »Am meisten ärgere ich mich über die Kleinbürger im Saal, die in der Stille der Generalpause vor dem Menuett auf den Stühlen herumrutschen, husten und ihre Kneifer putzen, unwissend, wozu eine Generalpause da ist ... (Abwarten, besorgter Blick auf Lewadski.) Wozu denn? Um einen Zustand regungsloser Stille herzustellen (feierliches Heben des Fingers samt rot lackiertem Nagel), bevor das Menuett sich köstlich und tröstlich auf die große Totenklage ergießt.«
    »Wie man so unempfänglich für die Musik sein kann!«, empörte sich ihre Schwester mit einem kurzen Nicken in die Richtung, wo die Kleinbürger sich umeinanderscharten. »Wie sollen die da wissen, dass die Stille, die dem Schlussakkord folgt, wichtiger ist als der Klang, der ihr vorausgeht? Statt die Stille eine Weile zu zelebrieren, rennen sie um die Wette zur Garderobe.«
    »Am besten tauchen solche Leute hier gar nicht auf«, schlug der Backenbärtige vor.
    »Die da«, lachte die wieder aufgetauchte dicke Dame, »kennen nicht einmal den Unterschied zwischen Beethovens pianissimo misterioso und dolce!«
    »Wo ist denn der Unterschied?«, erkundigte sich blauäugig der Backenbärtige.
    »Der Herr beliebt zu scherzen«, lächelte die Dicke, »dolce ist herzliche Sanftmut. Pianissimo misterioso ist ein Schauer des Staunens. Ach, wenn ich nur an die scherzenden Finale seiner Variationswerke denke!«, zwitscherte sie, »an die schwungvolle Polonaise, an das stürmische Rondo alla ingharese ...«
    »Herzliche Sanftmut und ein Schauer des Staunens«, wiederholte der Backenbärtige nachdenklich, »das, was Sie trinken, will ich auch!«
    »War das nicht lustig?«, seufzten die Schwestern auf dem Weg zum Orgelbalkon, »geistreicher kann eine Gesellschaft nicht sein!«
    Im Grunde seines Herzens hatte Lewadski Mitleid mit seinen Großtanten. Jahre später wurde es jedoch von Verständnis und tiefer Sympathie verdrängt. Wie in einem fischarmen See schon eine Molluske ein halber Fisch ist, so war es mit dem erbärmlichen Glanz und der dürftigen Unterhaltung, an die sich die alten Frauen verzweifelt klammerten. Trotz allem war es eine geistreiche Gesellschaft gewesen, stellte Lewadski im fortgeschrittenen Alter fest, geistreich allein durch die bloße Anwesenheit der Musik.

V
    Immer häufiger sprach Lewadskis Mutter von ihrer Sehnsucht nach ehrlicher Bauernluft, die es ihrer Meinung nach nur noch in Galizien gab. »Galizien ist nun in Polen«, sagte sie, »und der Krieg seit Jahren vorbei.« Vor allem aber sprach für die Rückkehr, dass Lewadski längst im schulfähigen Alter war. »Wir gehen zurück«, verkündete sie ihren Tanten an einem Abend im Frühling. Mit Diener und Handkuss nahm Lewadski von den alten Damen Abschied. Als er sich auf der Treppe noch einmal zum Winken umdrehte, sah er, dass die Schwestern die Flügeltüren bereits geschlossen hatten. Er bildete sich ein, dahinter ein herzzerreißendes Schluchzen zu hören, ein dumpfes Poltern, als wäre ein großer schwerer Samtvorhang samt Eisenstange zu Boden gefallen.
    Lewadski wurde mit acht Jahren

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