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Wer ist Martha? (German Edition)

Wer ist Martha? (German Edition)

Titel: Wer ist Martha? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjana Gaponenko
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amüsierten sie anscheinend sehr. »Im Tod wird alles kleiner –, so wie es sein soll, mein Sohn«, sagte sie lachend. Lewadski nickte und wusste, dass er es später verstehen würde. Viel später, nur nicht jetzt.
    »So sitzen wir hier«, waren ihre letzten Worte. Lewadski dachte oft daran und dass ihm an ihrer Stelle auch nichts anderes eingefallen wäre.

VII
    Lewadski saß in der Küche und pustete auf die Gasflammenblume. Die Blüten flogen weg und wuchsen sofort wieder nach. »Ich kann dir auch den Hals umdrehen«, sagte Lewadski zur Gasflamme und schaltete das Gas ab. Das leise Zischen der Gasblume erstarb. »Deine Gesellschaft langweilt mich!«, sagte Lewadski zum Herd.
    Mit scharrenden Schritten ging er ins Wohnzimmer und setzte sich, da ihm nichts Besseres einfiel, in den Schaukelstuhl, was er im selben Moment bereute. Das Aufstehen, die Strafe des Allmächtigen, wollte immer weniger gelingen, je mehr Jahre Lewadski auf dem Buckel hatte. Er starrte auf sein Telefon, schien es hypnotisieren zu wollen: Komm her, komm her, schwebe herüber! Das Telefon reagierte nicht. Ächzend stemmte sich Lewadski aus dem Schaukelstuhl, ging zum Telefon und griff nach dem Hörer. Während er die Nummerseines Lieblingssenders wählte, spürte er seine Hand feucht werden. Radio Harmonie der Welt – die Nummer, die er vor Jahrzehnten auswendig gelernt und niemals benutzt hatte. Nun bin ich 96, dachte Lewadski, und rufe wie ein Schuljunge bei einem Radiosender an!
    »Radio Harmonie der Welt ...«, meldete sich die Stimme.
    »Guten Abend, ich habe einen Wu...«
    »... bevor wir Sie mit einem unserer Mitarbeiter verbinden«, setzte die Stimme fort, »bitten wir Sie, an unserer Umfrage teilzunehmen.«
    »Einen Wunsch«, sagte Lewadski etwas lauter in den Hörer, »und zwar ein Lied von Ra...«
    »Bitte beantworten Sie die Fragen mit Ja oder Nein«, sagte die Stimme.
    »... von Ray Price, For the Good Times «, sagte Lewadski.
    »Achtung! Wir beginnen. Erste Frage: Empfangen Sie uns über das Radio?« Lewadski riss die Augen auf.
    »Wie denn sonst? So ein Blödsinn!«
    »Ihre Antwort war undeutlich. Empfangen Sie uns übers Internet?«
    »Ach so! Nein.«
    »Ihre Antwort war undeutlich. Sind Sie ein junger Hörer?«
    »Nein.«
    »Danke für Ihre Antwort. Sind Sie mit dem Musikangebot des Senders zufrieden?«
    »Ja.«
    »Danke für Ihre Antwort. Finden Sie die Stimmen unserer Moderatoren melodisch und angenehm?«
    »Na ja ...«
    »Ihre Antwort war undeutlich. Wünschen Sie mehr Reportagen zum Kulturleben?« Lewadski winkte ab.
    »Von mir aus, ja!«
    »Ihre Antwort war undeutlich ...«
    »Mein Gott, du dumme Schnecke!«, rief Lewadski in den Hörer.
    »... vielen Dank für die Teilnahme an unserer Umfrage. Wir verbinden ... Radio Harmonie der Welt. Guten Abend!«
    »Sind Sie da?«, fragte Lewadski vorsichtig.
    »Wo denn sonst?«, empörte sich die Stimme.
    »Entschuldigung. Guten Abend. Ich habe einen Wunsch, und zwar ein Lied von Ray Price – For the Good Times «.
    »Mal schauen«, sagte die Stimme, »Ray Price. Ray Price ... For the Good Times . Kommt heute zwischen 22 und 23 Uhr im Wunschkonzert.«
    »Danke schön!«
    »Bitte, bitte.« Die Stimme verwandelte sich in ein Tuten. Lewadski legte den Hörer auf die Gabel. Er wartete auf das Wunschkonzert. Sein Lied kam als Letztes.
    Wie oft, dachte Lewadski, habe ich über die Menschen, die im Radio anrufen, gelacht, und nun habe ich es selbst getan! Lewadski empfand so etwas wie tiefe Genugtuung.
    Don’t look so sad
    I know it’s over.
    »Ach je«, seufzte Lewadski.
    But life goes on
    And this old world
    Will keep on turning.
    Let’s just be glad
    We had some time
    »To spend together«, säuselte Lewadski.
    To spend together ...
    And make believe you love me
    One more time
    For the good times ...
    »... und nun zu den Nachrichten des Tages.«
    Lewadski schaltete das Radio aus. Er legte sich ins Bett und stellte sich vor, in jener Suite des Hotel Imperial zu liegen, in der er 2002 während des Waldrapp-Kongresses in Wien untergebracht war. Im geräumigen Zimmer duftet es nach Blumen und Möbelpolitur. Ein imposanter Kristalllüster wächst aus einer Deckenrosette. Wie eine geschliffene Träne schaukelt er über Lewadski. Hin und her, hin und her, und der Schlaf sickert durch die nachtblaue Seidentapete an der Wand. Köstliche Stille.
    Am nächsten Morgen wählte Lewadski die Nummer der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle. Eine junge Dame nannte melodisch ihren Doppelnamen. Lewadski

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