Wer ist Martha? (German Edition)
Elfenbeinküste wissen.
»Die EU ist ein Segen. Zugvögel, zum Beispiel, waren schon immer echte Europäer.«
»Das ist toll«, sagte der Taxifahrer. »Toll«, wiederholte er leise, als hätte er eben ein Staatsgeheimnis anvertraut bekommen und dessen Bedeutung begriffen.
Lewadskis Trinkstock stieg wie ein zarter Huf aus dem Taxi, ihm folgte etwas plumper Lewadski selbst. Ein livrierter Hotelpage verschwand mit Lewadskis Koffer durch eine Seitentür. »Auf Wiedersehen!«, Lewadski winkte dem Taxifahrer zu. Eine Kette aneinandergereihter Leuchtkäfer flammte im Dunkel der Autokabine auf.
»Alles Gute!«, rief ihm der Taxifahrer zu, »ein Vivat den Vögeln!« Lewadski trat lächelnd durch die Drehtür in die Hotellobby.
»Für mich wurde ein Zimmer reserviert. Lewadski ist mein Name. Luka Lewadski.«
Kurz nachdem der livrierte Hotelpage Lewadskis Koffer mit einem dumpfen Geräusch auf den Koffertisch gelegt und sich mit einem angedeuteten Diener verabschiedetet hatte, wurde sanft und melodisch an der Tür geklingelt. Noch bevor Lewadski herein rufen konnte, trat ein kleinwüchsiges Stubenmädchen mit weißer Haube ein, wie es ihm schien, eine Spanierin oder Portugiesin. Sie ging auf Lewadski zu, der sich erfolglos aus einem tiefen Rokoko-Sessel zu erheben versuchte. Als sie sein mühevolles Geschaukel bemerkte, beschleunigte sie ihre Schritte, um Lewadski vom Aufstehen abzuhalten. Im Laufen richtete sie ihre offenen Handteller wie Scheinwerfer auf ihn. Sie käme nur, um zu fragen, ob auch alles in Ordnung sei. Lewadski nickte, alles bestens.
»Wenn Sie die Bettwäsche gewechselt haben wollen, nur die Karte aufs Bett werfen. Karte aufs Bett – wechseln. Karte nicht aufs Bett – nicht wechseln«, erklärte das Stubenmädchen und hielt ein graues Stück Karton in die Höhe. Lewadski schaute ihr zu, wie sie zweimal die Karte aufs Bett warf und wieder von der Decke nahm. Beim Werfen hob sie eine Augenbraue und bewegte ihre Hand herablassend lässig, eigentlich war es ein einziges Fallenlassen der Karte aus der Hand eines Menschen, der es gewohnt war, dass man ihm diente. Beim Aufnehmen der Karte verneigte sie sich vor ihr wie vor einer verehrungswürdigen, absolut flachen und rechteckigen Person.
»Ich habe verstanden«, sagte Lewadski, als das Stubenmädchen die Prozedur noch einmal wiederholen wollte. Wie lange er bleiben werde, wollte sie wissen. »Ich weiß es nicht«, sagte Lewadski, »hoffentlich lange genug.« Das Stubenmädchen lächelte komplizenhaft. Die Elisabeth-Suite sei genau richtig für einen alten Herrn wie ihn, meinte sie.
»Ich kenne diese Suite«, sagte er, »Sie entschuldigen, dass ich sitzen bleibe.« Er würde sie beleidigen, wenn er jetzt aufstände, rief das Stubenmädchen. »Als Kavalier fällt es mir viel schwerer, vor einer Dame sitzen zu bleiben als aufzustehen«, gestand Lewadski.
»Ich verstehe nicht«, lächelte das Stubenmädchen und lief rot an.
»Ich kenne dieses Zimmer«, wiederholte Lewadski, »ich war hier schon einmal untergebracht. Als Festredner auf einem Vogelkongress. Es ist dasselbe Zimmer mit den nachtblauen Seidentapeten, den prachtvollen Louis-seize-Möbeln, den Kristalllüstern, Spiegeltüren und dem Bad mit einer vergoldeten Kuppeldecke. Es kann nur dasselbe Zimmer sein.«
Ein Klassik-Zimmer wäre nichts für ihn, meinte das Stubenmädchen. Nicht so groß. Das Bad zu klein. Nur mit Dusche. Nur hier, hier könne er sich austoben. Lewadski lachte. »Wenn ich es könnte, ja!« Das Stubenmädchen schüttelte mit einem Hauch von Ratlosigkeit den Kopf und ging zur Tür. Ihr Gang hatte Stolz, Entschiedenheit und Charakter. Er gefiel Lewadski. »So geht eine Mäherin übers Feld«, dachte er, »wie müde Peitschen wirft sie ihre Beine nach vorne.«
Als die Tür geschlossen und das Klappern der Schlüssel an der Hüfte des Stubenmädchens nicht mehr zu hören war, erhob sich Lewadski ächzend von seinem Sessel und nahm die graue Karte vom Bett. »Selbstverständlich«, stand darauf, »werden wir den Service Ihres Zimmers täglich durchführen. Ihre Bettwäsche wechseln wir gerne, wenn Sie diese graue Karte auf Ihrem Bett platzieren.« Lewadski ließ die Karte aufs Bett fallen und hob sie wieder auf. »Schade zu sterben«, seufzte er, »erst jetzt wird es spannend.«
Er betrat das Bad, das ungefähr so groß war wie seine Wohnung in der Veteranenstraße. Die Wohnung kann der Staat haben, dachte Lewadski, ich bleibe in diesem Bad bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag in der
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