Wer Liebe verspricht
ruiniert. Ich bitte Sie darum, zu verstehen, weshalb ich ihn verehre.«
Ranjan Moitra erhob sich, verbeugte sich leicht und förmlich und ging hinaus.
Durch ihre Fragen hatte Olivia die Information bekommen, die sie wollte – Jai Raventhorne würde höchstwahrscheinlich in nächster Zeit nicht zurückkehren. Alles andere hatte sie ohne ihr Zutun erfahren. Olivia staunte und freute sich darüber, daß es sie so gleichgültig ließ. Früher hätten sie diese Informationen in eine Hölle der Gefühle gestürzt, jetzt lösten sie überhaupt keine Reaktion aus. Das empfand sie als einen kleinen, aber bedeutsamen Triumph. Ja, sie hatte Jai Raventhorne für immer aus ihrem Leben verbannt.
Fünfzehntes Kapitel
Wieder einmal kam die Regenzeit.
Und wieder senkte sich der Himmel bleiern über das Land, verhüllte die Sonne und saugte statt dessen die beklemmende Feuchtigkeit auf wie ein Schwamm. Die Hitze war unerträglich. Für Olivia wurde das drückende Wetter zu einer Strafe. Der schwere Bauch belastete bis hinunter in die praktischen Schuhe; die Fußgelenke schwollen an, und jede Anstrengung schien sie an die Grenze der Belastbarkeit zu treiben. Sie konnte sich selbst in geschickt geschnittenen Kleidern nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigen. Sie mußte aufhören zu arbeiten. Außerdem war es Zeit, nach Kirtinagar zu entfliehen.
»Aber weshalb Kirtinagar?« fragte Freddie mißbilligend, »ich traue den einheimischen Quacksalbern nicht. Dr.Humphries müßte doch zur Stelle sein.«
Als Olivia ihm den Grund nannte, wurde er still. Dann nickte er nur und verließ das Zimmer. Olivia brannten die Augen. Sie wußte nicht, ob das Kind eines Tages ihre Sünden würde büßen müssen, aber ihr Mann, der nichts damit zu tun hatte, tat es bereits.
»Mach dir keine Gedanken um Josh«, versicherte ihr Ransome, als sie ihre Sorge zum Ausdruck brachte. »Ich werde bei ihm bleiben. Aber sag, mein Kind, ist es wirklich notwendig, daß du jetzt diese Reise unternimmst? Wäre es nicht besser zu warten, bis das Kind geboren ist?«
»Mir geht es ausgezeichnet, Onkel Arthur«, erwiderte sie freundlich, »die Reise ist für mich nicht gefährlich. Weißt du, die Maharani möchte unbedingt alles über das erste Treffen der Frauenbewegung erfahren, das im letzten Herbst in Seneca Falls in Amerika stattgefunden hat. Ich habe von meinem Vater Kopien der Reden von Lucretia Mott und Elizabeth Gady Stanton erhalten. Die Maharani möchte sie unbedingt lesen und mit mir darüber sprechen. Außerdem«, sie lächelte über die gerunzelte Stirn, mit der er ihre Lüge aufmerksam anhörte, »ich muß einmal eine Weile weg. Kalkutta deprimiert mich manchmal.«
Das schien ihn zu überraschen. »Aber warum? Gott hat dir ein gutes Leben geschenkt. Sei glücklich, mein liebes Kind. Es ist nur wichtig, daß du dich jetzt nicht länger mit den Problemen anderer belastest. Es ist edel, für andere zu leiden, aber du mußt auch an dein Leben denken. Aber gut, wenn du Ruhe brauchst, solltest du natürlich fahren.«
Mein Leben!
Sie schien überhaupt kein eigenes mehr zu haben, und das Wenige, das noch übrig war, machte schon lange keinen Sinn mehr.
Als Olivia ein paar Tage später Kinjal diesen Gedanken wiederholte, protestierte sie ärgerlich. »In meinen Augen ist Ihr Leben sehr sinnvoll, und am sinnvollsten ist es, wenn Sie jetzt heiter und gelassen sind. Körper und Geist müssen zur Ruhe kommen, damit das Kind glücklich zur Welt kommt. Bis dahin können Sie tun und lassen, was Sie wollen. Hier stellt niemand Forderungen an Sie.«
Es war schön, wieder in Kirtinagar zu sein. Olivia hatte keine Verpflichtungen, sie mußte nicht ständig etwas vorgeben und jederzeit ein Alibi zur Hand haben. Hier war sie endlich frei – sie war sogar von sich selbst befreit.
Für Olivia folgten ungetrübte Wochen. Ihr Geist entfaltete sich in der Freiheit ihrer Gedanken und ihres Tuns ebenso wie der Körper. Kinjal zeigte ihr einfache Yogaübungen, und bald verschwanden alle Schmerzen und Beschwerden. Die Spannungen lösten sich, und sie fühlte sich ausgesprochen wohl. Niemand, auch nicht Kinjal, die mit ihren täglichen Pflichten und den beiden Kindern ausgelastet war, mischte sich in ihre persönlichen Belange. Arvind Singh konzentrierte sich auf die Instandsetzung der Kohlengrube und verhielt sich ebenso zurückhaltend und diskret wie seine Frau. Da ihr die Bibliothek offenstand, verbrachte Olivia viele Stunden damit, Bücher über Hinduphilosophie zu lesen
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