Wer Liebe verspricht
Lebens endete. Der Sturm hatte sich ausgetobt, und die Welt draußen war in strahlendes Sonnenlicht getaucht. Und sie hatte keine Schmerzen mehr.
»Ist es vorbei …?« flüsterte Olivia schwach.
Etwas Kühles und köstlich Schmeckendes berührte ihre Lippen, und sie trank in großen, durstigen Schlucken.
»Ja, es ist vorbei.« Plötzlich sah Olivia Kinjals Gesicht. In ihren Augen standen Tränen. »Und es fängt an. Sie haben einen gesunden Sohn.«
Ein seltsames Gefühl ließ Olivias Körper erbeben – nicht Schmerz, aber es fehlte nicht viel, um schmerzhaft zu sein. Behutsam legte Kinjal ein kleines Bündel neben sie auf das Bett. Olivia achtete nicht auf den brennenden Schmerz, der sie durchzuckte, als sie sich neugierig zur Seite drehte und zum ersten Mal das Gesicht ihres Kindes betrachtete. Es sah häßlich und zerknittert aus und hatte sich noch nicht von der neunmonatigen Enge in ihrem Leib erholt. Aber als Olivia zögernd die Wange mit einem Finger berührte, fühlte sie sich so zart und weich wie die Federn unter dem Flügel einer Taube an. Scheu und unsicher schob Olivia die vor Milch und Schmerzen schwere Brust an das winzige Mündchen. Sofort öffneten sich die Lippen und schlossen sich fest um die Brustwarze. Olivia rang nach Luft. Das Saugen, das sofort einsetzte, war das schönste Gefühl, das sie je erlebt hatte. Sie schob zärtlich ihrem Sohn die Haare aus der Stirn. Schwach vor Liebe drückte sie ihn enger an sich und konnte den staunenden Blick nicht von seinem Gesicht wenden. Er hatte blaß schimmernde, von schwarzen Wimpern umrahmte Augen. Die dichten und wuscheligen Haare waren tiefschwarz.
Er würde eines Tages das Ebenbild von Jai Raventhorne sein.
Nach dem Stillen nahm ihr Kinjal das Kind wieder ab und legte behutsam ein Tuch um seinen Kopf. »Wischen Sie sich die Tränen ab. Ihr Mann wartet im Vorzimmer. Sie dürfen in seiner Gegenwart nicht weinen.« Olivia folgte ihrer Aufforderung. Sie hatte nicht gemerkt, daß sie weinte. Als Freddie eine Viertelstunde später auf Zehenspitzen nervös das Zimmer betrat, saß sie aufrecht in die Kissen gelehnt und hatte die Haare ordentlich zu einem Knoten aufgesteckt.
Freddie stand lange stumm an der Wiege und betrachtete das Kind. Dann beugte er sich mit blassem Gesicht über Olivia und küßte sie förmlich auf die Stirn. »War es sehr … schlimm?« fragte er mit zitternder Stimme. Seine Lippen waren kalt und schmal.
Sein unglückliches Gesicht erfüllte Olivia mit Mitleid. Was waren ihre kurzen Schmerzen im Vergleich zu seiner lebenslangen Last?
»Bitte bleib ein paar Tage, Freddie«, bat sie. »Der Maharadscha würde sich freuen. Man kann am See Enten jagen und im Palast Billard spielen.«
Er wich ihrem Blick aus. »Das würde ich gerne tun. Aber Peter und ein paar der anderen haben eine Art … Feier geplant. Sie wären schrecklich beleidigt, wenn ich … äh … nicht dabei wäre …« Er lächelte sie schwach an.
Olivia konnte sich gut vorstellen, welche Qual diese ›Feier‹ für ihn bedeuten würde – derbe Späße, da er einen ›Sohn und Erben‹ gezeugt hatte, Schulterklopfen, Augenzwinkern und lautes Lachen. Sie mußte schlucken. »Freddie, es tut mir leid …«
Er drehte sich um und floh aus dem Zimmer.
Olivia verbarg das Gesicht in den Kissen und weinte. Sie hatte ihr Kind in blinder Leidenschaft empfangen und neun lange Monate mit immer wiederkehrendem Groll in sich genährt. – Was empfand sie nun für dieses Kind, nachdem die abstrakte Vorstellung Wirklichkeit geworden war? Olivia wußte es noch nicht, aber sie verstand, was Kinjal mit ihren Worten gemeint hatte – ein unerträgliches Kapitel war zu Ende, aber ein neues ebenso unerträgliches begann. Alle Lügen, alle demütigenden Alibis, auch diese absurde Ehe hatten ihr nichts gebracht. Im Gesicht ihres Sohns lebte unverkennbar sein Vater. Mit welcher Ironie handelten die Götter und mit welch grausamem Sinn für Humor! Gottes Mühlen mahlen langsam, aber die Mühlen von Jai Raventhorne mahlten noch langsamer, und darin lag ihre Strafe.
Olivia weinte um ihren unschuldigen Sohn und bei dem Gedanken an die drohende Zukunft. Aber vor allem weinte sie um ihren Mann. Im Augenblick hatte das Baby die Augen geschlossen, und ein Tuch verbarg die verräterischen schwarzen Haare – aber wie lange?
Wie lange?
*
Die Zeit für noch mehr Lügen war gekommen.
Olivia gab Freddie einen Brief an Dr.Humphries mit. Sie erklärte ihm darin, ein unglücklicher Sturz
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