Wer Liebe verspricht
Tante ja nicht, daß du so unvorsichtig warst, ihn zu verlieren.«
»Verlieren? Wer hat etwas verloren? Oder sollte ich besser fragen, jemanden verloren?« Betty Pennyworthy, eine zerstreute, aufgeregte Frau mit einer ständig unordentlichen Frisur, die wie ein Nest aussah und bei der man unwillkürlich an einen Sperling dachte, trat zu ihnen und warf einen schnellen Blick auf ihre Teller.
»Den jungen Freddie. Ich habe ihn den ganzen Abend noch nicht gesehen.«
»Das ist auch kein Wunder, Josh«, sagte die Gastgeberin streng und faßte ihn fest am Arm, »ihr Männer steht ja auch den ganzen Abend in den Ecken und redet über Politik und Geld. Wenn ich noch ein Wort über dieses elende afghanische Problem höre, bekomme ich einen hysterischen Anfall, ich schwöre es. Clarence?« Sie wandte sich ihrem Mann zu, der gerade erregt auf einen behäbigen Herrn mit einem Walroßschnurrbart einredete. »Es wäre mir lieb, du würdest deine Gäste dazu bringen, daß sie anfangen zu essen, ehe alles eiskalt und völlig ungenießbar ist!«
»Sofort, Liebling«, erwiderte ihr Mann ungeduldig. »Noch ein Bier, Josh?« Sir Joshua wischte sich den Schaum vom Schnurrbart und tätschelte geistesabwesend Betty Pennyworthy die Hand. Dann gingen die beiden Männer davon und hoben ihre Bierkrüge hoch, um einen Diener auf sich aufmerkam zu machen.
Als das Dessert gereicht wurde – eine zusammengesunkene Karamelcreme – und Olivia sich ergeben zum Kreis ihrer Tante gesetzt hatte, pflichtschuldig über ›Hitzebläschen‹ und die Unzulänglichkeiten der eingeborenen Dienstboten mitplaudernd, fanden die Lustbarkeiten des Abends durch ein peinliches Ereignis ein vorzeitiges Ende. Man entdeckte Freddie Birkhurst sinnlos betrunken unter einem Krotonstrauch im Garten, und Dr.Humphries rief laut nach Riechsalz, zerstoßenem Eis und heißem Tee. In der allgemeinen Aufregung brach die Gesellschaft unvermeidlich auseinander, und mit Ausnahme von Estelle, die sich im Schutz des Durcheinanders mehrere großzügig bemessene Portionen nahm, hatten alle die Karamelcreme augenblicklich vergessen. Betty Pennyworthy zog sich, begleitet von Lady Bridget, Mrs.Humphries und ein oder zwei anderen Damen in das Schlafzimmer zurück, um ihrem Ärger in Ruhe Luft zu machen, und die Gäste begannen, sich diskret zu verabschieden.
Während der Fahrt nach Hause herrschte in der Kutsche der Templewoods grimmiges Schweigen. »Wenn er seinen Whisky nicht bei sich behalten kann, hat dieser Esel kein Recht zu trinken!« Sir Joshua hielt mit seiner Verachtung nicht hinter dem Berg.
Lady Bridget putzte sich die Nase und murmelte hinter ihrem Spitzentaschentuch: »Ich verstehe die ganze Aufregung nicht.« Sie fand sich tapfer damit ab, daß der Vorfall sie tief verletzte. »Männer trinken eben manchmal einen über den Durst. Das solltest du eigentlich wissen, Josh.« Sie putzte sich noch einmal ausführlich die Nase.
»Einen? Das war ja wohl mehr als einer!«
Nur Estelle wagte es zu kichern. »Susan Bradshaw sagt, sie weiß von ihrem Bruder, daß er noch sehr viel mehr trinkt, wenn er im Goldenen Hintern ist, wo …« Zu spät schlug sie die Hand vor den Mund und verstummte.
Einen Augenblick lang herrschte bedrohliches Schweigen. Dann fragte Sir Joshua mit einer Stimme, die vor Zorn ganz leise war: »Und was weißt du vom Goldenen Hintern, mein Kind?«
Estelle schluckte. »Ich s-sage nur, was jeder s-sagt, Papa …«
»Meine Tochter ist nicht jeder!« schrie ihr Vater. »Meine Tochter ist eine Dame oder sollte es zumindest sein, kein Mädchen aus der Gosse mit einem Schandmaul. Ist das klar, Estelle?«
»Ja, j-ja, Papa.«
»Und wenn das die Sprache deiner Freundinnen ist, dann muß ich sagen, ich billige die Vorbehalte deiner Mutter. Ist das auch klar?«
Estelle nickte. Ihre Lippen zitterten bei diesem nur gegen sie gerichteten Zornesausbruch. »Nun gut, reden wir nicht mehr darüber – aber eine solche Sprache wirst du in unserer Gegenwart nie mehr benutzen, besser gesagt, überhaupt nicht mehr. Verstanden?« Estelle nickte zum dritten Mal und kauerte sich schweigend in die Ecke, um zu schmollen.
Olivia sagte nichts. Aber insgeheim fand sie die Reaktion ihres Onkels übertrieben. ›Zur goldenen Hindin‹, um den richtigen Namen zu gebrauchen, was kaum jemand tat, war ein zweifelhafter ›Club‹ im Lal -Basar mit ausschließlich männlichen Gästen. Der Name, unter dem er allgemein bekannt war, gab einen deutlichen Hinweis auf die Genüsse, die er
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