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Wer Liebe verspricht

Wer Liebe verspricht

Titel: Wer Liebe verspricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Ryman
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erklärt, ich hätte sein albernes Benehmen satt«, sagte Estelle, und bei der Erinnerung an die demütigende Zeit funkelten ihre Augen. »Was geschehen war, ließ sich nicht ändern. Wenn alles, was er gesagt hatte, der Wahrheit entsprach – und daran zweifelte ich nicht mehr–, wurde es Zeit, daß wir lernten, uns zu vertragen, und er lernte, mich wie eine Schwester zu behandeln. Jai war schockiert. Das Wort ›Schwester‹ war ihm bislang überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Und dann wurde er wieder wütend. Also stellte ich ihm ein Ultimatum. Entweder verhielt er sich mir gegenüber anständig, oder ich würde hungern, bis ich tot war. Jai lachte. Er erklärte, es sei ihm völlig gleichgültig, was ich tat oder zu tun gedenke. Seinetwegen könnte ich über Bord springen und in Afrika bleiben. Er hatte, was ihn anging, sein Ziel erreicht.«
    Manche Erinnerungen waren für Estelle zweifellos schmerzlich, aber andere schmückte sie mit ihrem Sinn für Humor aus. Olivia mußte jedenfalls unfreiwillig lächeln. »Du und hungern? Das müßte ich mit eigenen Augen sehen, um es zu glauben!«
    »Oh, ich habe natürlich nicht richtig gehungert.« Ihr kindliches Gemüt bei all den tragischen Verwicklungen und in all dem Unglück war herzerfrischend. »Ich sah keinen Grund zu leiden, weil er so stur war. Ich überredete Bahadur – du weißt ja, sein untrennbarer Schatten –, mich mit Trockenproviant zu versorgen, den ich unter dem Bett versteckte.«
    Olivia mußte lachen.
    »Jai ahnte nichts davon. Als er dachte, ich hätte seit vier Tagen nichts gegessen, machte er sich Sorgen. Angenommen, ich würde sterben, dann hatte er eine Leiche an Bord. Das sagte er mir zumindest, als er persönlich mit einem Tablett erschien und es vor mir auf den Tisch stellte. Dann zog er den Revolver und hielt ihn mir an die Schläfe. ›Iß jetzt!‹ befahl er mir, ›oder ich jage dir eine Kugel durch deinen strohdummen Kopf, das schwöre ich dir!‹ Ich habe natürlich gegessen. Du meine Güte, und wie ich gegessen habe! Er hätte gut auf den Revolver verzichten können. Aber das habe ich ihm natürlich nicht gesagt. Ich habe ihm statt dessen erklärt, ich sei nicht bereit, mich wie ein lästiges Anhängsel herumkommandieren zu lassen. Entweder er behandle mich, wie ich es gewohnt sei, oder ich würde weiter hungern!« Sie lächelte zufrieden über ihren Triumph. »Das hat ihm wirklich Angst gemacht. Zuerst schimpfte und brüllte er wieder. Dann drohte er in ohnmächtigem Zorn, mir den Hintern zu versohlen, doch dann hob er plötzlich die Arme, gab sich geschlagen und lachte aus vollem Hals.« Auch Estelle mußte lachen, bevor sie wieder ernst fortfuhr. »Danach, Olivia, war er ein anderer Mensch. Er war unglaublich freundlich zu mir. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß er so fürsorglich sein kann, aber das war er. Allmählich begann er, mir zu vertrauen – vielleicht nicht ganz, aber etwas. Er unterhielt sich mit mir, stellte mir viele Fragen, hörte aufmerksam zu und erzählte von sich selbst.«
    »Bei all dieser Freundlichkeit und Fürsorge«, warf Olivia nicht ohne Schärfe ein, »ist es dir nie in den Sinn gekommen, wenigstens ein paar Zeilen nach Hause zu schreiben?«
    Estelle sah sie niedergeschlagen an. Wieder einmal sah man ihr das schlechte Gewissen an. »Ich habe es versucht, Olivia. Ich habe es mehrmals versucht, das schwöre ich dir, aber mir fehlten die Worte. Wie konnte ich das alles erklären? Wie konnte ich schwarz auf weiß alles Notwendige sagen? Außerdem, wenn ich Rechenschaft für mein Verhalten ablegen mußte, dann mußten auch Papa und Mama es tun.« Ihre Wangen röteten sich vor Zorn. »Sie haben mir die Wahrheit vorenthalten, die so lebenswichtig war. Hätte ich es früher gewußt, wäre das alles nicht geschehen …« Der Zorn verschwand so schnell, wie er gekommen war. Estelle erinnerte sich daran, daß die Menschen, denen er galt, sich nicht länger verteidigen konnten, und es gelang ihr nur mit Mühe, die Kontrolle wiederzufinden. »Solche Erklärungen konnten nur von Angesicht zu Angesicht erfolgen. Und da Jai versprach, in sechs Monaten zurückzukehren, wenn ich nach der Heirat mit John nach Indien zurückwollte, beschloß ich, die Sache bis dahin auf sich beruhen zu lassen, bis …«
    »Wie bitte?« Olivia war so überrascht, daß sie die Frage nicht zurückhalten konnte.
    Verwirrt sah Estelle sie an. »Ich habe doch nur gesagt, daß Jai nach sechs Monaten wieder in Kalkutta sein

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