Wer liebt mich und wenn nicht warum
wollte.
»Du, ich muss dir was erzählen.« Tom klopfte mit dem Finger auf seine Armbanduhr. »Vicky und ich …«
Oh nein, bitte erzähle mir nicht vor allen anderen von Vicky und dir, dachte ich. Darüber ist das letzte Wort sowieso noch nicht gesprochen. »Später«, unterbrach ich ihn. »Es hat schon geklingelt.« Tom trat einen Schritt zur Seite, ich drängelte mich an ihm vorbei und war weg.
8.15 Uhr Wir haben Mathe. Glaube ich zumindest. Das da vorne ist auf jeden Fall Herr Müller, unser Mathelehrer. Aber was er sagt, klingt nicht nach Algebra und auch nicht nach Geometrie, das find ich ein bisschen komisch. Er hört sich an wie ein Handy im Sendeloch.
»Second, prgrm, dann bin und enter.«
Wenn er ein Handy wäre, würde ich ihn jetzt ausschalten und noch mal neu starten, aber das geht bei ihm nicht.
»Nicht Oct!«, ruft er gerade. »Bin! Neben Hex! Nein, ich sagte nicht Dec. Ich sagte Hex! Hex! Hex!«
Irgendetwas stimmt nicht mit ihm.
8.22 Uhr Ach so. Herr Müller erklärt uns gerade die Bedienung unseres neuen Taschenrechners! Okay, ich gebe es zu, mit ihm ist alles in Ordnung, mit mir stimmt was nicht. Ich bin unkonzentriert. Ich benötige gerade all meine Kraft, um Tom zu übersehen, der mir genau gegenüber sitzt und mich die ganze Zeit ansieht. Er starrt mich an, als wolle er etwas herausfinden, und wenn sich unsere Blicke treffen, ist das jedes Mal so ein Gefühl, als würde ich mit dem Stuhl kippeln und ein bisschen zu weit nach hinten geraten. Ich meine diese Schrecksekunde, in der man automatisch die Arme hochreißt, damit man nicht umfällt.
Zum Glück hat Maiken mich zu dieser Inselsache überredet. Tom und ich, wir müssen das klären. Seine Augen wollen mir was sagen und ich will es hören. Und ich will ihn küssen. Nicht knutschen. K.Ü.S.S.E.N.
Huch. Eben wäre er fast mit dem Stuhl umgekippt.
11.35 Uhr Das gibt’s doch nicht! Drei Plätze gab es für das Praktikum noch und am Freitag wollte keiner mit. Aber heute hat Herr Welter plötzlich vier Anmeldungen. Vier!!! Gibt’ s da Freibier, oder was ist los?
Tom. Ich. Maiken. Das sind drei. Ich wüsste ja zu gern, wer Nummer vier ist. Irgendwie hab ich da einen Verdacht! Fängt dieser Name vielleicht mit »V« an und hört mit »icky« auf? Aber egal, wer es ist, ich werde ihn oder sie rauskicken. Ich muss dieSache mit Tom regeln, das ist wichtiger als alles andere auf der Welt. ICH WILL DAS!!!
Jetzt soll ein Auswahlverfahren klären, wer mitdarf. Am Dienstag in der ersten Stunde soll jeder Bewerber eine kurze Rede halten, in der er begründet, warum er teilnehmen will, und Herr Welter entscheidet danach, wer zu den Auserwählten gehört. Wir sollen uns selbst so eine Art Forschungsvorhaben für unsere Zeit auf der Insel ausdenken und wenn wir Glück haben, dürfen wir ungefähr so etwas auch wirklich erforschen.
14.30 Uhr Gaaah! Bin wieder zu Hause und als ich eben auf die Toilette wollte, saß da ein winziger Gnom mit Schirmmütze und runtergelassener Latzhose und schrie »Tür zu!«.
Auf der Treppe stolperte ich fast über einen zweiten Winzling, der auf dem Hosenboden die Stufen herunterrutschte. Bin sofort in mein Zimmer geflohen, habe aber die Tür offen gelassen, um aus sicherer Entfernung zu beobachten, was da draußen abgeht.
Den größeren von den beiden kenne ich, das ist Niklas, Rosalies Klassenkamerad, dem sie erst vor ein paar Tagen die Ehe versprochen hat. Gerade pumpt er im Flur mit großem Getöse eine Luftmatratze auf. Der kleinere ist, wie ich eben von Rosalie erfuhr, Niklas’ jüngerer Bruder Ben, ein laufender Meter mit einer Stimme, die wie Nadeln in mein Trommelfell sticht, so hoch und schrill ist sie.
Bens Luftmatratze liegt schon fix und fertig aufgepustet vor ihm, aber irgendetwas daran scheint ihm nicht zu gefallen. Ach so, es ist die Farbe. Er will eine grüne, wir haben aber nur rote und blaue. Klar, da muss man schreien.
Primel findet die Luftpumpe bedrohlich und kläfft. Man versteht kaum sein eigenes Wort.
14.45 Uhr »Lilia, bringst du den Jungs bitte Handtücher?«, rief Mama mir eben zu, als sie an meiner Zimmertür vorbeihastete.
»Ich brauch keins, ich bleib doch nur zwei Wochen«, krähte Niklas.
Mama und ich wurden beide blass, aber aus unterschiedlichen Gründen.
»Wie – du brauchst kein Handtuch!?«, fragte Mama.
»Wie – du bleibst zwei Wochen?!«, ächzte ich.
15.00 Uhr Es stimmt. Die beiden Jungs sollen zwei Wochen lang bei uns wohnen.
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