Wer liest, kommt weiter
in der Romantik entstanden zahlreiche Lobgedichte auf die Natur als Schöpfung. Hier die ersten zwei von 15 Strophen eines Sommergedichts des barocken Liederdichters Paul Gerhardt (1607–1676):
Geh aus, mein Herz, und suche Freud
In dieser lieben Sommerzeit
An deines Gottes Gaben;
Schau an der schönen Gärten Zier
Und siehe, wie sie mir und dir
Sich ausgeschmücket haben.
Die Bäume stehen voller Laub,
Das Erdreich decket seinen Staub
Mit einem grünen Kleide;
Narzissus und die Tulipan,
Die ziehen sich viel schöner an
Als Salomonis Seide.
Schauen und Sehen und den Schöpfer loben sind für Paul Gerhardt und für seine damaligen Leser eins.
Und er erinnert dabei an Jesus von Nazareth, der in der Bergpredigt sagte (Matthäus 5,28f.): Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen .
Ein Lobpreis der Natur ist für die heutigen Menschen schwieriger geworden. Wir informieren uns über die Natur und die Entstehung der Welt nicht in frommen Naturgedichten, sondern in wissenschaftlichen Büchern wie Charles Darwins On the Origin of Species by Means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life (1859). Über die Entstehung der Arten im Thier- und Pflanzen-Reich durch natürliche Züchtung, oder Erhaltung der vervollkommneten Rassen im Kampfe um ’s Daseyn (1860).
Wer die heutigen naturwissenschaftlichen Bücher liest, tut sich schwerer, an eine Schöpfung zu glauben, da in den meisten Büchern überzeugend dargestellt wird, daß Millionen verschiedener Pflanzen- und Tierarten aus unbelebter Materie durch Zufall, Selektion und Anpassung evolutionär entstanden sind.
Allerdings kommen auch Evolutionsbiologen nicht umhin, die Perfektion der uns bekannten Lebewesen zu konstatieren. Richard Dawkins, einer der schärfsten Kritiker des Christentums, betitelte sein neuestes Buch über die Natur The Greatest Show on Earth. The Evidence of Evolution (2009). Auf deutsch, zu direkt: Die Schöpfungslüge. Warum Darwin recht hat (2010).
Selbst Dawkins ist voller Bewunderung für die Natur:
Eine weidende Giraffe, ein in die Lüfte steigender Albatros, ein herabstoßender Mauersegler, ein kreisender Falke, ein Fetzenfisch, der zwischen den Seetangwedeln nicht zu sehen ist, ein Gepard, der sich in vollem Lauf nach einer hakenschlagenden, prächtigen Gazelle streckt – überall scheint die Illusion einer gezielten Gestaltung intuitiv so sinnvoll, dass es echte Mühe erfordert, kritische Gedanken zu fassen und die Verführung der nativen Intuition zu überwinden.
Davor und danach beklagt er sich über Fehlkonstruktionen wie den rückläufigen Kehlkopfnerv bei Giraffen: Ref 39
Ein vernünftiger Gestalter hätte nicht nur einen Fehler wie den Umweg des Nervs nie begangen: er hätte nichts von dem ganzen Saustall konstruiert ...
Ob Fehlkonstruktionen oder gezielte Gestaltung, fest steht, daß jahrzehntelange Nachbauversuche Vorbilder in der Natur nie erreichen konnten. Dies hat Goethe in der vorletzten Strophe seiner Marienbader Elegie (1824) schon geahnt:
Verlaßt mich hier, getreue Weggenossen!
Laßt mich allein am Fels, in Moor und Moos;
Nur immer zu! euch ist die Welt erschlossen,
Die Erde weit, der Himmel hehr und groß;
Betrachtet, forscht, die Einzelheiten sammelt,
Naturgeheimnis werde nachgestammelt.
Über die Imitation dessen, was man in der Natur sehen, erforschen und sammeln kann, gibt es erstaunliche Bücher, zum Beispiel Faszination Bionik. Die Intelligenz der Schöpfung, hrsg. von Kurt G. Blüchel und Fredmund Malik (2006). Das ist ein Sammelband zu einer Fernsehserie des SWR, geschrieben von 39 Fachleuten aus Technik und Wissenschaft, die immer wieder die Fortschritte der Evolution betonen, während die Fotos auf den mehr als 400 großflächigen Seiten eine solche Vielfalt, Perfektion und Schönheit zeigen, daß man an eine ungerichtete, vom Zufall mitbestimmte Entwicklung kaum glauben mag. Die Bionik, ein Kunstwort aus Bio logie und Tech nik , erscheint so eher als Bestätigung der im 1. Kapitel erwähnten Ansicht des Aristoteles zu sein, daß die Natur nichts vergebens macht.
Es gibt neben dem Schwinden des Schöpfungsglaubens noch zwei weitere Veränderungen in unserem Verhältnis zur Natur: die Natur- und Umweltzerstörung durch den technischen »Fortschritt«, wovon in zahllosen Büchern und
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