Wer liest, kommt weiter
sollst dich nicht rächen noch Zorn bewahren gegen die Kinder deines Volks. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; ich bin der HERR. Meine Setzungen sollt ihr halten: Laß nicht zweierlei Art unter deinem Vieh sich paaren... (19, 18f.)
Daß Jesus dieses etwa 30. von etwa 60 Geboten zum Hauptgebot erklärt, ist eine revolutionäre Botschaft, die zum Kriterium für das ewige Leben wird. Beim Jüngsten Gericht wird der Richter nämlich sagen: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. (Mt 25, 35ff.)
Diese Botschaft der Nächstenliebe verkündet Jesus nicht nur, er lebt sie auch. Er solidarisiert sich mit den armen und leidenden Menschen, er heilt Kranke, Gelähmte, Blinde und Taube und beweist seine Liebe bis zum Tod: Niemand hat größere Liebe als die, daß er sein Leben läßt für seine Freunde. (Joh 15, 13)
Im Johannes-Evangelium lernen wir auch drei Quellen dieser Liebesbotschaft kennen: Zuerst die Liebe Gottes zu den Menschen: Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. (3,16) Dann die Liebe zwischen Jesus und dem Vater: ... die Welt soll erkennen, daß ich den Vater liebe und tue, wie mir der Vater geboten hat ... (14, 31).
Schließlich Jesu Liebe zu den Jüngern, denen er nach der Fußwaschung sagt: Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt. (13, 34)
Während in den synoptischen Evangelien zusammen etwa 30mal von der Liebe die Rede ist, wird sie im Johannes-Evangelium etwa 40mal genannt, noch mehr im 1. Johannes-Brief, dessen Hauptthema die Liebe ist, weshalb Papst Benedikt XVI. seine erste Enzyklika Deus caritas est (2005) nach einem Satz in diesem Brief benannt hat: Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm (1. joh 4, 16).
Doch am meisten, fast 100mal, spricht Paulus von der Liebe: so im Galaterbrief (Denn das ganze Gesetz ist in einem Wort erfüllt, in dem »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!« 5,14) und vor allem im berühmten »Hohenlied der Liebe« (1. Kor 13):
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so daß ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. ... Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie läßt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. ... Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin. Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.
Diese drei sind auch am Anfang des Vaterunsers zu finden:
Vater der Menschen ist Gott als ihr Schöpfer, dürfen wir glauben.
Unser Vater liebt uns als seine Kinder, und wir dürfen ihn vertrauensvoll und sollen einander geschwisterlich lieben.
Im Himmel einst gemeinsam bei ihm zu sein, dürfen wir hoffen.
Die zentrale Botschaft des Christentums ist also die tätige Liebe. Die Liebe und das Gute, das wir mit Liebe tun, sind auch immer wieder Themen der Literatur.
20. Gutes tun oder nicht
Wilhelm Busch (1832–1908): Reue (1904)
Die Tugend will nicht immer passen,
Im ganzen läßt sie etwas kalt,
Und daß man eine unterlassen,
Vergißt man bald.
Doch schmerzlich denkt manch alter Knaster,
Der von vergangnen Zeiten träumt,
An die Gelegenheit zum Laster,
Die er versäumt.
Was man unterlassen hat, weiß man zum Glück oft nicht. Warum sollte auch ein Amerikaner, der täglich 8,5 Stunden vor Bildschirmmedien sitzt, darüber nachdenken, was er in diesen Stunden, die im Lauf der Jahre zu Jahren werden, Gutes hätte tun können? Von allein entsteht das Gute jedoch nie:
Man muß das Gute tun, damit es in der Welt sei.
Dieser Aphorismus von Marie v. Ebner-Eschenbach ist, wenn man genau hinhört, ein
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