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Wer Mit Schuld Beladen Ist

Wer Mit Schuld Beladen Ist

Titel: Wer Mit Schuld Beladen Ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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verbeulten Stahltüren am Ende waren. Er wusste nicht, was sich dahinter befand, jenseits der öffentlichen Räume der Gerichtsmedizin, und er wünschte sich verzweifelt, es auch nicht herauszufinden. Was bei einem karriereorientierten Polizisten absolut keinen Sinn ergab. Leichen hatte er schon zuvor gesehen. Drei. Doch am Tatort, begleitet von Blut und Gewalt, war dieser Anblick erträglich. Vermutlich, weil die Leichen dort nicht wie tote Menschen wirkten. Sie waren Beweismaterial.
    Aber auf einem Stahltisch, mit blauen Lippen und schwarzen Nähten in ihrer kalten Haut … Er schauderte.
    »Durkee?«
    Mark kam zu sich. MacAuley stand vor der Tür und wartete auf ihn. »Alles in Ordnung?«, fragte der Deputy.
    »Ja, Sir«, antwortete Mark, und das stimmte auch, denn er sah durch die Tür, dass sich außer einer Büroeinrichtung aus den sechziger Jahren, wie sie auch im MKPD vorhanden war, nichts in dem Raum befand.
    Vor Dr. Dvoraks geradezu zwanghaft aufgeräumtem Schreibtisch standen nur zwei Stühle, weshalb Mark neben der Tür stehen blieb, während der Chief und MacAuley es sich so bequem wie möglich machten.
    Dvorak setzte sich. Er ergriff einen Aktenordner und plazierte ihn auf der grünen Löschunterlage vor sich. »Erstens«, begann er, »werde ich Ihnen keine Fotos zeigen.«
    Der Chief nickte.
    »Zweitens«, fuhr der Pathologe fort. »Wie immer in Mordfällen habe ich direkt nach der Aufzeichnung der Obduktion einen vorläufigen Bericht erstellt. Deshalb werde ich die Leiche frühestens morgen freigeben können.«
    Mark begriff, dass er damit meinte, er müsse erst alle Teile, die Mrs. Van Alstyne gewesen waren, wieder zusammensetzen.
    Der Rechtsmediziner presste die gespreizten Finger an seine vernarbte Stirn. Seine Nägel waren sehr sauber und sehr kurz. »Ich muss sagen, dass dies die bestürzendste Obduktion war, die ich seit dem Antritt dieser Stellung durchgeführt habe.« Er ließ die Hand sinken und sah den Chief an. »Ich arbeite hier hauptsächlich als Pathologe. Mehr als zwei verdächtige Todesfälle im Jahr sind absolut außergewöhnlich. Das war auch das, was ich gewollt habe, als ich hierhergezogen bin. Friedliche Arbeit in einem stillen County. Trotzdem war mir stets gegenwärtig, dass ich früher oder später« – seine Stimme schwankte – »jemanden obduzieren müsste, den ich kenne.« Er sah den Chief an. Seine blassen Augen waren feucht.
    Der Chief streckte die Hand über Dvoraks makellosen Schreibtisch und drückte seinen Arm. »Danke, Emil.«
    Der Rechtsmediziner räusperte sich und senkte den Blick auf die Akte vor sich. Er schlug sie auf. »Die Tote war gesund, gut genährt und in einem guten körperlichen Zustand. Weiß, angegebenes Alter einundfünfzig.« Er fuhr mit dem Finger über den Seitenrand. »Ihre Haut war wunderbar elastisch. Sie hätte leicht zehn Jahre jünger sein können.«
    Der Chief nickte. »Ja. Sie …«
    Alle warteten einige Sekunden, doch es folgte nichts mehr.
    Wieder räusperte sich Dr. Dvorak. »Da wir alle das Opfer kennen, komme ich sofort zu den forensisch wichtigen Details.«
    »Tun Sie das«, sagte MacAuley.
    »Das Opfer ist in keiner Hinsicht sexuell missbraucht worden«, begann der Arzt, und der Chief, der angespannt gelauscht hatte, sank im Stuhl zurück. Der Rechtsmediziner fuhr fort: »Der tödliche Angriff scheint rasch und unerwartet erfolgt zu sein. Wie Sie bereits am Tatort festgestellt haben, Deputy Chief MacAuley, gibt es keine Verteidigungswunden noch irgendwelche Blutergüsse, die darauf hindeuten, dass das Opfer gekämpft hat oder gefesselt worden ist. Der Tod war das Resultat eines gut plazierten Messers in der Kehle, das gleichzeitig Stimmbänder, Luft-und Speiseröhre durchtrennte. Dann wurde das Messer in einem flachen Winkel zurückgezogen, wobei es die Jugularvene verletzte. Ich vermute, dass der Angreifer von hinten zustach, in der klassischen Meuchelmörderpose, bei der der Kopf des Opfers nach hinten gerissen wird, um die Kehle freizulegen, und ihm keine Zeit zur Gegenwehr bleibt. Die Folge war fast augenblicklich einsetzende Bewusstlosigkeit, da die Blutversorgung des Gehirns unterbrochen wurde. Der klinische Tod erfolgte nach wenigen Minuten.« Er legte die Hand auf die Unterlagen und schwieg einige Zeit. »Es mag ein Gemeinplatz sein, Russ, aber vom ärztlichen Standpunkt aus kann ich Ihnen versichern, dass sie, wenn überhaupt, nur einen Moment der Überraschung erlebte. Sie hat nicht gelitten.«
    Der Chief nickte.

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