Wer Mit Schuld Beladen Ist
und verschwand. Russ blieb, um Luft ringend, liegen, und jeder einzelne Knochen im Leib tat ihm weh.
Dann hörte er, wie der Wagen angelassen wurde.
»Scheiße«, keuchte er und kam taumelnd auf die Beine. Seine Kniescheibe fühlte sich an, als wäre sie mit einer Axt bearbeitet worden. Die ganze Welt war verschwommen. Panisch suchte er den Boden des Wohnzimmers ab. Ein goldenes Glitzern verriet ihm, wo er suchen musste, und er griff nach seiner Brille. Seine Umwelt nahm wieder deutliche Konturen an. Er hinkte gerade noch rechtzeitig auf die geschlossene Veranda, um zu erleben, wie sein Volvo schlingernd aus der Einfahrt schoss.
»Scheiße!« Er begann zu laufen, doch ein stechender Schmerz ließ ihn innehalten. Christus, irgendwann zwischen dem Sturz auf seine Waffe und der Tür an seiner Hüfte hatte er sich einen Nerv eingeklemmt. Er zog sein Handy heraus, während er auf den Honda zuhumpelte. Hatte er Schlüssel in der Zündung gesehen? Nein, hatte er nicht.
»Scheiße!« Er wirbelte herum. Von der Straße unten am Fuß der Erhebung, auf der das Haus stand, erklang das Kreischen von Bremsen und das Quietschen von Reifen auf Asphalt. Dann das Krachen.
»Scheiße! Scheiße! Scheiße!« So rasch wie möglich hinkte er, auf der eisglatten Oberfläche schlitternd und rutschend, die Einfahrt hinab, wobei er sich mühte, die stechenden Schmerzen in Knie und Hüfte zu ignorieren. Der Seitenstreifen der Bainbridge Road wurde von grobem Sand und verkrusteten Schneewehen blockiert, deshalb lief er in der trockenen Straßenmitte und betete, dass niemand mit Vollgas über den Hügel geschossen kam.
Er hörte, wie erneut ein Auto angelassen wurde. Etwas – ein Schrei? Ein Motor wurde hochgejagt. Beschleunigte, kam direkt auf ihn zu.
Russ verschwendete keine Zeit damit, über diese neue Scheißsituation zu fluchen. Er schwang sich über die dreckige Schneewehe und hastete auf Händen und Knien weg von der Straße. Der verbeulte Kühler des Volvo, Lindas Volvo, röhrte an ihm vorüber und zog eine Spur von Scheinwerfersplittern hinter sich her. Russ kämpfte sich über den festgefrorenen Schnee zurück auf die Straße, zurück zu dem zornigen Gebrüll, das vom Fuß des Hügels zu ihm aufstieg.
Als er über die Hügelkuppe humpelte, erblickte er den anderen Teilnehmer des Unfalls, einen großen jungen Mann, dessen Haar so kurz geschoren war, dass Russ seine rosige Kopfhaut durchschimmern sah. Er stapfte vor den Überresten eines Camaro auf und ab, der wunderschön gewesen sein musste, ehe man ihm das Heck eingedrückt hatte, und fluchte auf eine Weise, deren Mangel an Originalität durch schiere Unflätigkeit wettgemacht wurde.
»Hey!«, brüllte Russ, und der junge Mann drehte sich mit geballten Fäusten und gefletschten Zähnen zu ihm um. Russ hob die Hände. »Ich war’s nicht!« Er humpelte näher heran.
Der junge Mann ließ die Fäuste sinken. »Chief Van Alstyne?«
Russ zwinkerte. »Ethan? Ethan Stoner?« Er hatte den ältesten Sohn der Stoners vor ungefähr einem Jahr das letzte Mal gesehen, nachdem der Junge seinen Sozialdienst abgeleistet hatte, zu dem er wegen einigem Ärger, den er verursacht hatte, verurteilt worden war. Damals hatte er mit Sicherheit weder einen Bürstenschnitt noch ein Auto besessen.
»Ja, Sir.«
Sir? Ethan war kein übler Junge – Russ war immer davon ausgegangen, dass dessen Probleme das Resultat von zu viel Müßiggang und zu wenig Möglichkeiten waren –, doch er gehörte mit Sicherheit nicht zu denen, die Ältere mit Sir oder Ma’am anredeten. Endlich erreichte Russ den Jungen und das brutal entstellte Auto. »Was ist passiert?«
»Geht es Ihnen gut, Sir?«
Russ hob eine Augenbraue. Es tat weh. »Nur ein bisschen angeschlagen. Dank demselben Kerl, der soeben dein Auto zu Schrott gefahren hat. Was ist passiert?«
Ethan zeigte auf eine Zufahrt ein paar Meter weiter auf der anderen Straßenseite. »Ich habe die McAlisters besucht.« Eine halbe Meile jenseits der Straße querfeldein endete die Zufahrt an einem reizenden alten Farmhaus. »Ich war gerade auf die Straße abgebogen – ich war echt langsam, Chief, ehrlich. Ich weiß, dass man hier unten am Hügel besonders aufpassen muss.«
Russ nickte. »Ich glaube dir.«
»Das Arschloch ist direkt über die Kuppe gerast – und wumm. Ehe ich ausweichen konnte, hatte er mein Heck gerammt.« Ethan betrachtete bekümmert sein Fahrzeug. »Mann, ich muss das Ding noch zwei Jahre abzahlen.«
Russ seufzte. »Mach dir keine Sorgen.
Weitere Kostenlose Bücher