Wer morgens lacht
Jahren. Und als ich später anfing, mich zu wehren, hatte sie sich schon daran gewöhnt, alles auf mich abzuschieben, und auch unsere Mutter hatte längst angefangen, nur mich anzuschauen, wenn sie morgens ihre Anweisungen gab, und aus »Ihr macht dies, ihr macht jenes« war allmählich ein »Du machst dies, du machst jenes« geworden.
Ich weiß noch, wie ich mit zusammengepressten Lippen putzte, wie ich grimmig und zornig die Wäsche wusch, zum Trocknen aufhängte, bügelte und wieder in die Schränke räumte, ich weiß noch, dass ich manchmal vor Wut heulte und trotzdem unfähig war, mich gegen die vielen Anforderungen zu wehren. Aber so fleißig ich auch war, es kam keine Frau Holle, die Gold auf mich herabregnen ließ, bei mir schrie kein Hahn: Kikeriki, unsere goldene Jungfrau ist wieder hie, im Gegenteil, an mir klebte das Pech, an Marie das Gold. Marie war es, die die alte Märchenregel, wer fleißig ist, wird belohnt, der Faule bekommt seine gerechte Strafe, auf den Kopf stellte, sie war faul und wurde belohnt. Sie bekam, was sie wollte, sie tat, was sie wollte.
Damals war Freizeit ein Fremdwort für mich, jahrelang ging es so, ich hatte die Schule, ich hatte den Haushalt, ich hatte den Garten, mir blieb keine Zeit, mich mit anderen zu treffen und Freundschaften zu schließen, auch wenn ich heute glaube, dass nicht der Zeitmangel schuld an meiner Kontaktarmut war, ich war eine gute Schülerin, aber ich hatte keine Freunde, ich hatte auch keine Feinde, es schien sich einfach keiner für mich zu interessieren, es war, als gäbe es mich nicht. Sozial gesehen war ich eine Null und auch ohne die viele Arbeit hätte ich keine Freunde gehabt und erst recht zu keiner Clique gehört.
Erst als unser Vater arbeitslos wurde, übernahm er zumindest die Sorge für den Garten. Doch wesentlich leichter wurde es dadurch nicht für mich, ich musste nun mittags, statt nur ein belegtes Brot zu essen, kochen oder das aufwärmen, was unsere Mutter vorgekocht hatte, denn in der Küche ließ er sich nicht blicken, die Küche war das Reich der Frauen und der Mädchen, die schließlich zu Frauen heranwuchsen. Es macht mich heute noch wütend, wenn ich daran denke, und ich nehme es meiner Mutter übel, dass sie diese Rollenverteilung widerspruchslos akzeptierte. Ich bin sehr froh, dass es hier, in unserer WG, anders abläuft, Kevin und Jakob übernehmen ganz selbstverständlich ihren Anteil am Küchendienst und am Hausputz und an allem anderen, was so anfällt, und auch wenn es mich manchmal stört, dass sie Sachen einfach rumliegen lassen, könnte keiner sagen, dass es bei uns dreckig wäre.
Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen. Deshalb, und weil ich noch immer bereitwillig alles tue, was von mir verlangt wird, zumindest wenn ich etwas zugesagt habe, sitzen wir vier jetzt in Kevins Auto und fahren in den Taunus, um Pilze zu suchen. Es ist vielleicht drei Wochen her, da hat mich beim Abendessen jemand gefragt, ich glaube, es war Jakob, ob ich mit meinen Pilzen weitergekommen sei, und Kevin meinte, ich könnte doch auch Ziegen als Forschungsgebiet wählen, er finde Ziegen wesentlich hübscher als Pilze, und nützlicher seien sie auch, sie würden zum Beispiel diesen delikaten Käse liefern, von dem er sich gerade ein Stück abschneide.
Ich widersprach, schließlich studiere ich Biologie und Pilze sind mein Spezialgebiet. Pilze sind extrem wichtig und nützlich, sagte ich, überall, auch in der Käseherstellung, oder isst du etwa nicht gern Roquefort, Kevin? Wenn mich ein Thema interessiert, braucht man mich nur anzutippen und schon lege ich los. Pilze sind eine Welt für sich, sagte ich, sie sind unterteilt in Hunderte verschiedener Familien, Gattungen und Arten. Pilze lassen sich nicht nach ihrer Form und ihrer Größe bestimmen, bei Pilzen findet man eine unendliche Vielfalt von Formen, von mikroskopisch kleinen, unter denen sogar Einzeller sind, bis hin zu den höher entwickelten Formen, die manchmal mehrere Kilo schwere Fruchtkörper ausbilden.
Ich erzählte auch, dass bei mir das Interesse für Pilze sehr früh angefangen hatte, schon als Kind, als ich mit meiner Großmutter Pilze sammelte und sie mir von der Beziehung zwischen Pilzen und Bäumen erzählte, eine Beziehung, die sie Freundschaft nannte. Bei manchen Pilzen hört man es sogar am Namen, sagte ich, zum Beispiel bei Erlenkremplingen und Lärchenröhrlingen, aber auch wenn man es nicht hört, gibt es feste Beziehungen, Kapuzinerröhrlinge wachsen
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