Wer morgens lacht
unter Pappeln, Butterpilze unter Kiefern, Schwarzschuppige Rotkappen unter Birken, Goldröhrlinge unter Lärchen. Die meisten Pilze sind allerdings nicht derart spezialisiert, sie können sich mit verschiedenen Baumarten zusammentun, auch wenn viele von ihnen eine besondere Vorliebe für Laubbäume oder Nadelbäume haben.
Als Kind glaubte ich, Pilze wären die Schmarotzer in der Welt der Pflanzen, sie würden die Bäume aussaugen und im Laufe der Zeit kaputt machen, sie würden auf Kosten der anderen Pflanzen leben, ich dachte, die Rollen wären klar verteilt, die einen sind die Räuber, die anderen die Ausgeraubten. Bei manchen Pilzen stimmt das auch, Hallimasche und Stockschwämmchen zum Beispiel wachsen auf Baumstrünken und abgefallenen Ästen, aber das ist nicht die Regel, die meisten Pilze, essbare wie giftige, leben mit Bäumen in einer symbiotischen Ernährungsgemeinschaft, die beiden etwas nutzt, dem Pilz und dem Baum. Natürlich hat meine Großmutter das nicht gewusst, das habe ich erst während des Studiums gelernt, aber sie hat mir beigebracht, Pilze zu entdecken und zu bestimmen, sie hat sich mit mir gefreut, wenn ich einen essbaren Pilz fand, und mich immer gelobt. Für mich war das wie ein Abenteuer, wie eine Schatzsuche, und gehörte zu den großen Vergnügungen meiner Kindheit.
Meine Mitbewohner kannten Pilze nur vom Einkaufen, Champignons, Steinpilze, Pfifferlinge und Austernseitlinge, Ricki kannte auch noch Shiitakepilze, und Kevin kam, wie nicht anders zu erwarten, auf Trüffel, diese teuren Pilze, die sich normale Menschen kaum leisten können. Und schließlich fielen ihnen noch Fliegenpilze ein, die sie aus Bilderbüchern und von gelegentlichen Waldspaziergängen kannten, aber damit hatte es sich auch.
Kennst du dich wirklich aus mit Pilzen?, fragte Ricki.
Ich nickte, ja, ziemlich gut.
Wir würden also nicht Gefahr laufen, uns zu vergiften, wenn wir selbst gesammelte Pilze essen?
Ich lachte, nein, bestimmt nicht, das hat mir meine Großmutter beigebracht. Kein Risiko, und wenn du nicht sicher bist, lässt du den Pilz stehen, selbst wenn er noch so verlockend aussieht. Wer an einer Pilzvergiftung stirbt, war einfach zu dumm oder zu leichtsinnig. Oder zu vertrauensselig.
Warum gehen wir dann nicht mal zusammen in den Wald, Pilze sammeln, sagte Ricki, ich fände das großartig.
Ich auch, sagte Kevin, ich habe noch nie im Leben Pilze gesammelt.
Und auch bei Jakob war es nicht anders.
Ricki strahlte, als ich zustimmend nickte, und ihre Grübchen hüpften vor Freude.
Sie hatten mich wirklich nicht drängen müssen, ich war begeistert und freute mich auf einen Tag im Wald, schließlich konnte ich zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht wissen, dass ich dann, wenn es so weit wäre, mit etwas ganz anderem beschäftigt sein würde. Ich war sofort einverstanden und sagte, jetzt ist sowieso die beste Zeit zum Pilzesammeln, wir könnten am Sonntag losziehen, ich kenne die Wälder um Frankfurt zwar nicht, aber ich denke, dass man überall etwas findet, wenn man nur lange genug sucht. Vermutlich werden es keine Steinpilze sein, die sind bei uns nicht so häufig, bei Steinpilzen muss man wissen, wo sie wachsen, aber es gibt ja noch andere Pilze, die gut schmecken.
An den beiden folgenden Sonntagen regnete es, aber als sie gestern sagten, das Wetter sei doch genau richtig für unseren geplanten Ausflug, konnte ich mich ebenso wenig wehren, wie ich mich früher gegen Marie wehren konnte. Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen.
So ist es gekommen, dass wir jetzt in den Taunus fahren. Ich habe mir gestern Abend im Internet ein größeres zusammenhängendes Waldgebiet ausgesucht und Kevin hat den Weg zu diesem Wald in sein Navi eingegeben. Als wir das Auto an einer geeigneten Stelle zwischen Bäumen geparkt haben, bin ich auf einmal auch ganz glücklich, und der Gedanke, dass ich jetzt eigentlich mit gespitztem Bleistift an meinem Schreibtisch sitzen wollte, flattert mit einem späten Pfauenauge über ein Moospolster und verschwindet hinter einem Gebüsch. Ich brauche ihn nicht, Marie hat Zeit, alles hat Zeit, das Leben besteht nicht nur aus Erinnerungen, nicht wenn man jung ist. Ich fühle mich in meinem Element, wie ein Fisch im Wasser, hätte Omi gesagt. Wir sind am Wald aufgewachsen, Marie und ich, in unserer Kindheit war der Wald für uns Spielzimmer, Sportplatz, Kino, der Wald war ein Ort der Sehnsucht und des Trostes. Auch wenn wir in den Ferien in Bodenmais waren, bei den
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