Wer morgens lacht
gedrängten, ungleich langen, deutlich freien Lamellen, die weiß sind, höchstens schwach grünlich. Das ist der giftigste Pilz, den es bei uns gibt, sage ich, die Vergiftungen mit dem grünen Knollenblätterpilz verlaufen fast immer tödlich, deshalb lässt man alle Pilze, die so ähnlich aussehen, vorsichtshalber stehen, auch wenn nicht alle giftig sind.
Es ist Kevin, der die meisten Pilze findet, und nachdem sich seine Augen an Braunkappen gewöhnt haben, entdeckt er sie überall. Er freut sich wie ein kleines Kind, und einmal umarmt er mich, gibt mir einen Kuss und ruft begeistert, du hast recht, es ist jedes Mal, als hätte man einen Schatz entdeckt, ich kann mich gar nicht erinnern, dass mir je etwas so viel Spaß gemacht hat.
Ich erzähle, dass ich früher, als Kind, immer davon geträumt hatte, einen riesigen Steinpilz zu finden, wurmfrei und so groß, dass er die ganze Familie satt machen würde, und immer, wenn ich hinter ein Gebüsch ging, weil ich pinkeln musste, hoffte ich, der Wunderpilz würde dort auf mich warten, aber das hat er nie getan. Trotzdem habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, bis heute nicht.
Am späten Nachmittag ist unser Korb übervoll und wir fahren nach Hause. Dann stehen wir alle vier in der Küche, säubern die Pilze und schneiden wurmige Stellen heraus, bevor wir ein großartiges Riesenomelett mit Pilzen braten, und ich sage, wie Omi es immer getan hat, man muss zu einem Pilzgericht unbedingt Petersilie tun, damit es niemandem auffällt, wenn man eine Tannennadel übersehen hat. Kevin macht eine Flasche Wein auf und Jakob deckt den Tisch im Wohnzimmer.
Später gehen Jakob und Kevin zu einem Konzert, sie haben die Karten schon seit Wochen, und Ricki und ich bleiben allein zurück. Das war ein schöner Tag, sagt Ricki, ich bin dir wirklich sehr dankbar für diese Erfahrung. Du weißt so viel über essbare und giftige Pilze, du könntest doch auch darüber schreiben, zum Beispiel über die Wirkung der verschiedenen Gifte.
Aber das ist es nicht, was mich interessiert.
Sondern was?
Ich möchte in kleinem Rahmen die Beziehungen der Organismen erforschen, das ist mein Thema, symbiotische und parasitäre Beziehungen, am liebsten die fließenden Übergänge zwischen beiden, das finde ich spannend. Manchmal vergleiche ich sie sogar mit den Beziehungen zwischen Menschen, auch da gibt es parasitäre und symbiotische Verhältnisse. Natürlich weiß ich, dass es unzulässig und absolut unwissenschaftlich ist, ich habe mich ja nicht umsonst für Biologie und nicht für Psychologie entschieden, aber es ist ein Spiel, das mir Spaß macht. Und ich nutze es nur als Denkmodell, als eine Art Ordnungshilfe. Wir leben ja von Vergleichen, alles lässt sich doch nur durch Vergleiche beschreiben, mit dem Wie. Es fängt bei dem an, was wir sehen, mit den Farben, so blau wie das Meer, so grün wie Gras …
So weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie Ebenholz, sagt Ricki.
Ich nicke. Genau, und bei anderen Phänomenen ist es ähnlich, so dürr wie eine Bohnenstange, so hoch wie ein Kirchturm, so dumm wie Bohnenstroh.
Ricki lacht, in ihren Wangen erscheinen Grübchen. Und was für eine Beziehung haben wir, du und ich und Jakob und Kevin?
Eine symbiotische, wir haben alle vier etwas davon, wir brauchen weniger Geld für die Miete und unseren Lebensunterhalt, wir sind nie ganz allein und entgehen der Gefahr, zu vereinsamen, und wir haben oft Spaß miteinander.
Wir lachen beide.
Vielleicht ist mir der Wein zu Kopf gestiegen, vielleicht bin ich auch nur glücklich, weil ich hier bin, jedenfalls höre ich mich plötzlich fragen, soll ich dir von meiner Schwester erzählen?
Ich wusste gar nicht, dass du eine Schwester hast, sagt Ricki und gießt mir nach. Sie rutscht etwas tiefer in den Sessel, schaut mich an und sagt, ja, erzähl mir von deiner Schwester. Und von dir.
Ich bin erschrocken über meine Frage und würde gern einen Rückzieher machen, weiß aber nicht, wie ich das hinkriegen könnte, ohne sie zu kränken. Ich bin in meine eigene Falle getappt.
Zehn
Manche Katastrophen kommen ohne jede Vorwarnung, sie fallen vom Himmel oder schleichen sich fast unbemerkt in unser Leben, und oft kapieren wir erst nach einer ganzen Weile, was tatsächlich passiert ist und welche Folgen es für unser Leben hat. Jedenfalls könnte ich nicht behaupten, an jenem Tag eine Vorahnung gehabt zu haben. Ich kann die Ereignisse von damals jederzeit wie einen Film vor mir ablaufen lassen, unverändert, in
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