Wer morgens lacht
und Werken.
Alles muss gleich sein, denkt Anne, jeden Tag das Gleiche, als wären Wiederholungen allein schon der Beweis für die Richtigkeit bestimmter Handlungen, bestimmter Sätze. Auch kleinste Veränderungen müssen so lange hin und her gewendet und in andere Zusammenhänge gebracht werden, bis sie in die große Gleichheit passen, die sich über alles ergießt und jede Lebendigkeit und jede Freude erstickt, bis nur noch Langeweile übrig bleibt.
Ihr Vater sitzt am Tisch, er hat ein Bier vor sich stehen, er schweigt, wie er es meistens tut, und eigentlich ist das ganz gut so, ihrer Mutter könnte es auch nicht schaden, mal zu schweigen, der Fernseher drüben im Wohnzimmer ist sowieso lauter als sie, man kann ihn durch die offene Tür bis hierher in die Küche hören, und wenn man den Kopf wendet, kann man ihn sogar sehen. Das Ding läuft ununterbrochen, Tag für Tag, ihre Mutter schaltet ihn immer ein, es ist das Erste, was sie tut, wenn sie nach der Arbeit das Haus betritt.
Jetzt kommt eine Sondersendung, Terroranschläge in London, der Vater nimmt sein Bier, geht hinüber ins Wohnzimmer und setzt sich in den Sessel.
Mach den Salat, sagt ihre Mutter noch einmal, das Essen ist gleich fertig.
Die Stimme des Sprechers klingt dramatisch, unheilvoll, heute Morgen kam es in London zu vier Terroranschlägen, sagt er. Gegen acht Uhr fünfzig Ortszeit, während des Berufsverkehrs, fanden in fahrenden U-Bahn-Zügen drei Explosionen statt, die schlimmste auf der Piccadilly Linie zwischen King’s Cross St. Pancras und dem Russel Square, allein bei dieser Explosion gab es achtundzwanzig Tote, es passierte mitten im Tunnel, was die Rettungsarbeiten erschwerte. Eine knappe Stunde später explodierte eine vierte Bombe in einem Doppeldeckerbus in der Nähe des Russel Square und forderte weitere Todesopfer. Der U-Bahn-Betrieb wurde kurz vor zehn eingestellt, eine Stunde später auch der Busverkehr.
Auf einmal ist ihre gute Stimmung verflogen, die Welt dringt wie ein plötzlicher Sturm bis hierher in dieses Haus, in dem sonst nichts los ist, und wirbelt Angst und Schrecken zwischen den weißen Wänden auf. Anne wirft einen Blick durch die offene Tür zum Fernseher, es sind chaotische Bilder, die gezeigt werden, verzweifelte Menschen, denen das Entsetzen ins Gesicht geschrieben steht, mindestens sechsundfünfzig Opfer sollen bei diesen Anschlägen ums Leben gekommen sein, die Zahl der Verletzten, heißt es, liege bei sechs- bis siebenhundert, viele der betroffenen Fahrgäste seien bis zum Nachmittag in den Zügen eingeschlossen gewesen.
Anne, beeil dich mit dem Salat, die Nachrichten kannst du dir später noch anschauen, sagt ihre Mutter und schlägt Eier in die Pfanne, als hätte sie nicht gehört, was in der Welt los ist, vielleicht hat sie es ja auch nicht gehört, London hat nichts mit Marie zu tun. Öl spritzt auf, die Mutter stöhnt und reibt sich die Hand. Das unterbricht die Stimme aus dem Fernseher, für einen Moment ist es still, nur das Gebrutzel ist zu hören und das Stöhnen ihrer Mutter.
Anne zuckt mit den Schultern, sie wäscht den Salat, zerrupft Blätter, hackt Schnittlauch, mischt Öl und Essig und Salz und eine Prise Zucker, Omi hat immer gesagt, wenn man Essig nimmt, gehört eine Prise Zucker dazu, und unterdessen gießt ihre Mutter die Kartoffeln ab, stellt eine Pfanne auf den Herd und kippt Öl hinein.
Tony Blair, der sich gerade beim G8-Gipfeltreffen in Gleneagles, Schottland, aufgehalten habe, sagt der Sprecher, habe in einer Ansprache von barbarischen Terroranschlägen gesprochen. Auf dem Bildschirm erscheint Tony Blair in Großaufnahme, sein Gesicht ist unnatürlich gelb, der Vater müsste die Farbe korrigieren, denkt Anne und versucht zu begreifen, was das heißt, sechsundfünfzig Tote und sechs- bis siebenhundert Verletzte. Jetzt korrigiert ihr Vater die Farbe, Tony Blairs Gesicht wird rot wie kurz vor einem Schlaganfall, die Schatten unter den Wangen und am Hals bleiben gelblich. Schöner ist er so auch nicht, denkt Anne, und ihr Vater sagt, es wird Zeit, dass wir uns endlich einen neuen Fernseher anschaffen. Tony Blairs Gesicht wird halb von ihrem Vater verdeckt, an dessen Hinterkopf jetzt deutlich die kahle Stelle zu sehen ist, kreisrund wie eine Tonsur.
Auf dem Bildschirm erscheint ein Kommentator und zählt schwere Anschläge auf Nahverkehrszüge während der letzten Jahre auf, die meisten fanden außerhalb Europas statt, in Angola, Kaschmir, Pakistan, Sri Lanka, Aserbeidschan, aber es
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