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Wer morgens lacht

Wer morgens lacht

Titel: Wer morgens lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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die Pfanne und den Kartoffeltopf unter fließendem Wasser, sie wischt noch die Schränke ab, den Unterbau der Spüle, alles Arbeiten, vor denen sie sich sonst drückt, und dabei denkt sie immer wieder, in London hat es über fünfzig Tote gegeben und sechs- bis siebenhundert Verletzte, was ist dagegen schon ein Anruf von Marie, immerhin ist sie noch am Leben. Sie hängt den nassen Lappen über den Rand der Spüle, dann geht sie hinüber in ihr Zimmer, lässt aber die Tür offen.
    Sie weiß nicht, wie viel ihr Vater inzwischen getrunken hat, sie hört durch die offene Tür nur, dass er immer wieder Maries Namen sagt, und sie hasst ihn wegen des betrunkenen Lallens. Oder wegen des Namens. Soll er sie doch lieben, denkt sie, was bedeutet es schon, von so einem geliebt zu werden, kein Grund zur Eifersucht, natürlich nicht, ein Säufer und Schwätzer, nichts dahinter, kein Rückgrat, kein Ehrgeiz, kein Willen, alles nur Angabe und Alkohol.
    Geh ins Bett, sagt ihre Mutter drüben in der Küche, ungeduldig und zornig. Und dann, als er offensichtlich nicht gehen will, verweist sie ihn auf die andere Tochter, auf Anne. Hilflos und zornig sagt sie, soll sie dich wirklich so sehen? Soll sie wirklich das letzte bisschen Respekt vor ihrem Vater verlieren? Da fängt er an zu weinen, Schluchzer, die so trocken klingen, als würden sie ihm von innen die Kehle aufreißen.
    Sie hört, wie die Mutter ihn aus der Küche und die Treppe hinaufführt, zum Schlafzimmer, und sie weiß genau, wie sie jetzt aussieht, sie braucht die Verachtung in ihrem Gesicht nicht zu sehen, Schwäche ist ihr zuwider, schon immer hat sie Schwäche verachtet, besonders bei ihm.
    Sie hört ihren Vater auf der Treppe jammern, hört, wie er Maries Namen wiederholt. Sie ist nicht überrascht, sie hat schon immer gewusst, dass er Marie mehr liebt als sie, und nicht nur er, alle lieben Marie mehr als sie, gegen Marie ist sie nie angekommen. Aber dass sein Unglück so groß sein würde, hätte sie sich nicht vorstellen können. Bestimmt hat auch Marie es sich nicht vorstellen können, denkt sie, sonst wäre sie nicht abgehauen und hätte ihn als greinenden Trottel zurückgelassen.
    O Gott, sagt Ricki, die mir die ganze Zeit zugehört hat, das ist ja furchtbar, und dann steht sie auf, holt aus der Küche ein Glas Wasser und hält es mir hin. Warum ein Glas Wasser, frage ich, warum gibt man Frauen immer ein Glas Wasser? In allen Filmen ist das so. Wenn eine Frau erfährt, dass ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind, hält ihr jemand ein Glas Wasser hin, wenn ihr der Arzt sagt, dass ihr Kind an einer tödlichen Krankheit leidet, bringt jemand ein Glas Wasser, wenn sie hört, dass ihr Mann sie mit einer Jüngeren betrügt und sie damit rechnen muss, dass er sie verlässt, bekommt sie ein Glas Wasser.
    Du hast ja recht, sagt Ricki, aber jetzt erzähl weiter.
    Nun, sage ich, so war es also. In London hatte es Terroranschläge mit vielen Toten und Verletzten gegeben, und Marie hatte uns mitgeteilt, dass sie nicht mehr nach Hause kommen würde. Heute frage ich mich natürlich, warum unsere Eltern es zugelassen haben, dass diese Tochter einfach aus unserem Leben verschwand, damals habe ich es hingenommen, ohne mir viel dabei zu denken, was hätten sie auch tun können, als ihr Vorwürfe zu machen, Marie ließ sich nicht zwingen, zu nichts, und hätten sie es versucht, hätten sie sie erst recht aus dem Haus getrieben. Ich war davon überzeugt, dass es Maries Entscheidung war, uns zu verlassen, und überlegte gar nicht, was das über sie selbst aussagte, ob das ein Zeichen ihrer Schwäche oder ihrer Stärke war, sie wollte es so, keine Widerrede, Schluss, aus, basta, und wenn ihr euch auf den Kopf stellt, es nützt euch nichts, wenn ich einmal Nein gesagt habe, bleibt es bei Nein.
    Ihr müsst doch irgendetwas unternommen haben, sagt Ricki, ihr könnt doch nicht einfach euer Leben weitergeführt haben.
    Ich schüttle den Kopf, haben wir auch nicht. Nach dem Anruf vergingen etliche Tage, an denen wir nur aneinander vorbeischauten, aneinander vorbeiredeten und eigentlich darauf warteten, dass Marie sich wieder melden würde, wir hofften, sie würde vielleicht sagen, es war nur ein Scherz, so habe ich es nicht gemeint, ich komme zurück. Aber sie rief nicht an. Seltsamerweise stellte unsere Mutter erst nach ein paar Tagen fest, dass Marie ihr ganzes Geld abgehoben hatte, ein paar Hundert Euro, und sie hatte auch unsere Geheimkasse für eventuelle Notfälle

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