Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer morgens lacht

Wer morgens lacht

Titel: Wer morgens lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
Vom Netzwerk:
aber das ist nicht weiter aufgefallen, weil unsere Mutter immer Rosa für ihre Töchter wollte.
    Was für reizende Mädchen, rief Marie kichernd, die sehen ja soooo süß aus.
    Rosafarbene T-Shirts, rosafarbene Pullover, rosafarbene Socken und sogar rosafarbene Unterhosen.
    Und einmal hatten wir sogar rosa Gummistiefel, sagte Marie.
    Und ich sagte, und immer die gleichen Frisuren.
    Wir lachten beide, aber es war kein fröhliches Lachen, weder bei ihr, Marie, noch bei mir, Anne. Wo ihr euch doch so ähnlich seht, sagte ich im Tonfall unserer Mutter, und Marie fügte hinzu, wäre nicht der Größenunterschied, könnte man euch für Zwillinge halten.
    Auf einmal bekam sie diesen trotzigen, herausfordernden Ausdruck, und ich spürte, wie sich meine Gesichtsmuskeln verzogen, ich konnte es auch, ich konnte aussehen wie sie. Sie starrte mich an, ich starrte zurück. Bis ich anfing, mich zu wehren, sagte sie, bis ich mir die Fingernägel und die Fußnägel blau lackiert habe, bis ich mir die Haare abschneiden und rot färben ließ, da war es endgültig vorbei mit der Ähnlichkeit.
    Ich habe immer gewusst, dass diese Ähnlichkeit eine Täuschung war, sagte ich, eine Lüge, etwas, was unsere Mutter sich vorgemacht hat, was sich sogar Omi vorgemacht hat, obwohl sie es eigentlich besser wissen musste. Wenn jemand den Unterschied zwischen uns beiden kannte, dann war es Omi, meinst du nicht?
    Ja, sagte Marie, ja, das stimmt, und dann fragte sie, warum haben sie uns das angetan?
    Ja, fragte auch ich, warum haben sie uns das angetan?, und plötzlich wusste ich nicht mehr, wer von uns beiden Marie war und wer Anne, die im Spiegel oder die davor.
    Als ich merkte, dass mir die Tränen in die Augen stiegen, schlug ich schnell die Schranktür zu, auch sie sollte mich nicht weinen sehen, noch nicht mal die Marie im Spiegel.

Zwölf
    Manche Erinnerungen sind so sperrig, dass sie noch nicht einmal in den eigenen Kopf passen. Man muss sie zurechtstutzen und ihre Kanten glätten, um sie unterzubringen und irgendwie hantierbar zu machen. Und wenn man sich schon dazu aufrafft, von ihnen zu sprechen, ist man unwillkürlich bemüht, sie so zu erzählen, dass man nicht als der oder die Dumme dasteht.
    Man könnte zum Beispiel anführen, dass eine Fünfzehnjährige keine Erfahrung mit der Nacht hat, mit einer mondlosen Dunkelheit, in der noch nicht einmal eine Straßenlaterne ein bisschen Licht verströmt, denn hätte es eine Laterne gegeben, wäre sie vielleicht in den Lichtkreis getreten, hätte die Gefahr erkannt und wäre weggelaufen.
    Oder man könnte sagen, dass eine Fünfzehnjährige zu naiv ist, zu unerfahren, und fast zwangsläufig zum Opfer wird, schuldlos und nicht aus Dummheit, denn wer kann von so einer schon erwarten, dass sie eine Gefahr, in der sie noch nie war, richtig einschätzt, das ist doch einfach zu viel verlangt, könnte man sagen.
    Oder man könnte die Ansicht vertreten, dass man, wie vor Gericht, nicht schuldfähig oder nur vermindert schuldfähig ist, wenn einem Hormone wie Drogen die Adern überschwemmen und man den vernünftigen Umgang mit ihnen noch nicht gelernt hat, obwohl ich zugeben muss, dass ich das bis heute noch nicht kann, ich halte derartige Empfindungen lieber gut verschnürt hinter Schloss und Riegel, zu meiner eigenen Sicherheit, das ist es, was mir Torsten immer vorgeworfen hat, aber er war es auch nicht wert, dass ich ihm zuliebe auch nur einen Bruchteil meiner Vorsicht aufgegeben hätte, er bestimmt nicht.
    Man könnte also wirklich viele Gründe dafür anführen, dass man Erinnerungen glättet und schönt oder sie lieber gar nicht erst anschaut.
    Für mich ist solch eine sperrige Erinnerung die an die Pasinger Clique, von der diese grauhaarige, mütterlich aussehende Kommissarin bei einem ihrer Besuche erzählt hatte, und am liebsten würde ich das Ganze so darstellen, als hätte ich die Leute von Anfang an durchschaut und wäre eher zufällig in den Schlamassel geraten, wie es jedem passieren kann. Pech gehabt, Anne, nimm’s nicht so schwer, that’s life, wenn dir jemand einen Stein in den Weg legt, brauchst du dich doch nicht zu wundern, dass du stolperst.
    Ich hatte sie gefunden, die Clique, es hatte ein paar Tage gedauert, in denen ich durch Pasing gestreunt war, nicht nur mit Maries kurzen roten Haaren, sondern auch angezogen wie sie, mit ihrer roten Jacke über einer schwarzen Jeans und einem schwarzen Top. Es waren Ferien, ich hatte genug Zeit, denn ich hatte es abgelehnt, allein nach

Weitere Kostenlose Bücher