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Wer morgens lacht

Wer morgens lacht

Titel: Wer morgens lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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Bodenmais zu fahren, und meine Mutter hatte sofort nachgegeben, es war fast, als würde ich nur durch die Kraft meiner knallroten Haare ihren Widerstand lähmen, und mein Vater kümmerte sich sowieso um nichts, er fuhr morgens nach dem Frühstück los, kam zu einem schnellen Mittagessen nach Hause und machte sich dann wieder auf den Weg, bis abends. Und ich? Ich vernachlässigte den Haushalt, ich vernachlässigte den Garten und reagierte nicht, wenn meine Mutter mir Vorhaltungen machte. Mein neues Aussehen veränderte mich, Rothaarige sind nicht gefügig, Rothaarige lassen sich nicht herumkommandieren.
    Ich streunte tagsüber durch Pasing, ich lief durch alle Anlagen, schaute mich im Bahnhof und um die Baustellen herum um, im Einkaufszentrum und in den verschiedenen Schnellimbissen, vor den Schulen und im Stadtpark, und hielt Ausschau nach Jugendlichen, von denen es hier erstaunlich viele gab, offenbar fuhren längst nicht alle ins Ausland, wie ich nach den Erzählungen meiner Mitschüler eigentlich angenommen hatte. Wenn ich irgendwo ein paar zusammen rumhängen sah, ging ich dicht an ihnen vorbei und starrte in ihre Gesichter, in der Hoffnung, so etwas wie Erkennen zu entdecken oder gar angesprochen zu werden, aber alle schauten gleichgültig an mir vorbei, und wenn mal einer etwas zu mir sagte, war es nur eine dumme, plumpe Anmache.
    Am fünften Tag, ich hatte gerade den Steg zum Stadtpark überquert und näherte mich der Bowlingbahn, geschah dann das, was ich mir erhofft hatte, jemand schlang von hinten die Arme um mich und rief, he, Marie, wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt?
    Ich drehte mich um, ich schaute den Jungen an und er schaute mich an. Du bist nicht Marie, sagte er verblüfft, und ich sagte, nein, ich bin Anne.
    Der Junge war Marco.
    Es waren vier, Pete, Django, Peggy und Marco, der unangefochtene Boss der Gruppe, und außerdem gehörte noch Rambo dazu, Djangos Hund. Ich wusste sofort, dass sie die Richtigen waren, und wunderte mich, dass ich nicht gleich auf sie gekommen war. Ich hatte sie schon öfter vor unserer Schule rumhängen sehen, provozierend und laut, und ebenso oft hatte ich gehört, wie unser cholerischer Hausmeister geschimpft hatte, eine verdammte Saubande ist das, wenn ich die erwische, können sie was erleben, zerschmeißen Flaschen und lassen Bierdosen und ihren Müll hier vor der Schule herumliegen und ich muss dann die Scherben zusammenkehren und den Mist wegräumen.
    Ich blieb den ganzen Nachmittag mit ihnen zusammen, sie schienen es vollkommen normal zu finden, dass ich das tat, sie fragten auch nicht weiter nach Marie, sie wussten ja von der Befragung durch die Polizei, dass sie abgehauen war, sie erkundigten sich lediglich, ob sie wieder nach Hause gekommen sei, und als ich den Kopf schüttelte, ließen sie es dabei bewenden. Wir saßen im Stadtpark auf Bänken, tranken Cola und Bier, das mir anfangs nicht schmeckte, aßen Chips, die Django aus seinem Rucksack zog, und hörten Musik aus Peggys MP3-Player, eine harte, rhythmische Musik, die mir früher nicht gefallen hatte und mir auf einmal ganz natürlich vorkam, ausgerechnet in der freien Natur, unter den Bäumen im Stadtpark, ausgerechnet zusammen mit Vogelgezwitscher, dem Lärm spielender Kinder und dem fernen Kläffen von Hunden, bei dem Rambo, Djangos Hund, die Ohren spitzte und manchmal kurz und gelangweilt antwortete.
    Ab und zu sagte jemand etwas, aber nichts war besonders spannend, trotzdem war ich fasziniert von ihnen, sie waren ganz anders als die Leute, die ich kannte. Wie soll ich sie beschreiben? Aussteiger, hatte die Kommissarin gesagt, und ich hatte Ausgestoßene gedacht, beides stimmte und stimmte irgendwie auch nicht. Sie waren keine Obdachlosen, wenigstens sahen sie nicht so aus, aber ich habe nie erfahren, wo sie zu Hause waren, wo sie nachts schliefen, wenn das Wetter schlecht war und sie nicht einfach im Stadtpark bleiben konnten, ich habe auch nie erfahren, woher sie das Geld für Cola, Bier und Zigaretten hatten und wer Rambos Hundemarke bezahlt hatte. Ich habe sie ebenso wenig danach gefragt, wie sie mich nach irgendetwas gefragt haben, es war Sommer, wir waren zusammen, mehr brauchten wir nicht zu wissen, weder sie noch ich. Ich dachte nicht viel nach, eigentlich überhaupt nicht, vielleicht war es die einzige Zeit in meinem Leben, in der ich nicht nachdachte, ich ließ mich einfach treiben, so wie sie sich treiben ließen.
    Pete war nicht viel größer als ich, schmal, drahtig und mit so

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