Wer nach den Sternen greift
sie von meinen Freunden halten oder von den Leuten, mit denen ich in die Oper gehe, einschließlich einer kleinen, alten, schwarzgekleideten Dame.«
Wütend stampfte Sophie aus dem Zimmer. Frank und Annie blickten sich an.
»Es ist nicht unsere Schuld«, sagte Annie. »Ich habe ihr diese falschen Werte nicht vermittelt.«
»Doch. Sie ist einfach mit zu viel Geld aufgewachsen.«
Annie lachte. »Na ja, das weiß ich nicht. Man kann nie zu viel Geld haben.« Sie ging wieder ins Wohnzimmer. »Frank, was hältst du von diesem jungen Mann? Ich bin beeindruckt.«
»Er verkörpert unsere Zukunft, und das finde ich sehr aufregend. Ich glaube, ich werde in sein Unternehmen investieren.«
»Ganz gleich, ob es hanebüchen ist oder nicht?«
»Ja, auf jeden Fall. Viele mögen denken, dass diese pferdelosen Kutschen nur eine vorübergehende Modeerscheinung sind, aber ich habe das Gefühl, dass sie unser Leben revolutionieren werden.«
»Glaubst du wirklich, dass sie sich durchsetzen?«
»Wenn wir ihm Glauben schenken dürfen, werden wir in zehn Jahren alle damit herumfahren. Er glaubt sogar, dass wir eines Tages damit kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten fahren.«
»Und wenn er sich irrt?«
»Dann habe ich ihn zumindest in seinem Traum unterstützt, und ich werde nicht so viel investieren, dass es uns ruiniert. Aber wenn er recht hat, will ich dabei sein. Vielleicht ist Jeremy an so etwas ja auch interessiert. Im Gegensatz zu Adam und Sophie ist er eher der praktische Typ.«
»Ja, da kommt er eher auf mich.«
Frank lächelte. Seiner Meinung nach war Annie nur an Menschen und Geldausgeben interessiert. Aber glücklicherweise beherrschte sie ja beides gleich gut. Er freute sich, dass sie diesen jungen Hult und seine Großmutter in die Oper eingeladen hatte. Dort konnte er sich den jungen Mann noch einmal genauer anschauen.
»Wenn ich an Sophies Stelle wäre, würde ich heute Nacht ganz bestimmt von Frederic Hult träumen«, sagte Frank nachdenklich.
Und genau das tat Sophie auch. Sie lag im Bett und starrte an die Decke, wo die Schatten der Straßenlaternen, die ihr Vater vor dem Haus errichtet hatte, tanzten, und versuchte vergeblich, sich Colin von Rhysdales Gesicht vor Augen zu führen. Stattdessen tauchte immer wieder Frederic Hult auf, die dunklen Augen glitzernd in der Dunkelheit, und die schwarze Haarlocke, die ihm immer wieder in die Stirn fiel.
Und sie dachte daran, wie gebannt ihr Vater Frederics Worten (durfte sie ihn überhaupt Frederic nennen?) gelauscht hatte. Es überraschte sie, dass auch sie wie hypnotisiert zugehört hatte. Der Klang seiner Stimme, sein Enthusiasmus hatten sie in ihren Bann gezogen.
Und in ihren Träumen kitzelte der Schnurrbart kein bisschen.
10
I n einem Punkt hatte Sophie recht. Mrs. Hult war eine kleine, alte Dame in Schwarz.
Sie war höchstens einen Meter fünfzig groß, hatte jedoch eine so königliche Haltung, dass sie viel größer wirkte. Sie trug Perlenstecker in den Ohrläppchen und eine mehrreihige Perlenkette um den Hals. Ihre langen schwarzen Handschuhe zog sie nicht aus. Zwar war sie schon in den Siebzigern, aber sie bewegte sich anmutig und wirkte so, als könne sie es mit jedem König aufnehmen.
Sophie mochte sie sofort, als sie sich im Foyer der Metropolitan Opera begegneten. Und auch Annie war hingerissen von ihr, als Mrs. Hult den Currans dafür dankte, dass sie sie in ihre Lieblingsoper »Aida« eingeladen hatten.
»Ich war bei der ersten Aufführung dabei, 1871 zur feierlichen Eröffnung des Suez-Kanals in Kairo«, sagte sie. »Ich fand sie wunderbar, habe sie seitdem aber leider nur noch einmal in Mailand gehört.«
Sophie kannte niemanden, der jemals in Ägypten gewesen war. Und es war natürlich auch kein »schickes« Reiseziel so wie London, Paris oder die französische Riviera. In Sophies Ohren klang es völlig exotisch.
Seit sie vor über zwölf Jahren nach New York gekommen waren, hatte Frank es geschafft, eine Loge in der Oper zu bekommen. Es war Annie gleichgültig, dass sie weit hinten lag. Sie konnte von dort aus alles sehen, und das Publikum unten im Saal musste sich den Hals verrenken, um sie zu sehen. Sophie konnte einfach nicht begreifen, warum ihre Mutter so wenig Wert auf die Anerkennung der alteingesessenen Familien legte. Allerdings wurde ihr, als sie Frederics Großmutter kennenlernte, zumindest klar, dass sie sich nicht zu schämen brauchte, mit der alten Dame gesehen zu werden.
Während der Vorstellung saß sie hinter
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