Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)
widerspenstigen Haaren«. Inzwischen war das Wasser in meiner Taucherbrille bis über meine Nasenlöcher gestiegen. Meine Augen starrten auf meinen Nasenrücken wie zwei Flutopfer auf dem Dach ihres Hauses, die sich angstvoll fragen, ob das Wasser noch höher steigen wird. Wenn das geschah, war ich aufgeschmissen. Dann war ich nicht nur gefangen in einem Käfig und atmete Wasser ein, nein, dann war ich blind und gefangen in einem Käfig und atmete Wasser ein. Mein Instinkt sagte mir, dass ich so schnell wie möglich an die Oberfläche schwimmen sollte, aber es waren bereits Haie gekommen. Die Frage war also: Wollte ich ertrinken oder bei lebendigem Leibe gefressen werden? Tausend Gefahren! Du entscheidest selbst .
Ich bedeutete Bill mit zwei nach unten gedrehten Daumen – dem internationalen Signal für »Mir geht’s nicht so toll« – und Handbewegungen, dass ich hinauswollte. Dann löste ich das Bungeeseil und öffnete den Käfigdeckel, aber die Strömung war so stark, dass ich den Deckel nicht wieder schließen konnte. Daher klaffte der Deckel weit offen, als Gus uns hinaufziehen wollte, und prompt konnte er uns nicht nach oben ziehen. Stattdessen glitt der Käfig horizontal unters Boot und stieß leicht gegen den Schiffsrumpf. An der einen Seite stand der Deckel nun weit offen, sodass jeder Hai hineinschwimmen konnte. Ich blickte zu Bill, der nur mit hilflosen Gesten antwortete. Er war ja nicht dabei gewesen, als Gus gestern betont hatte, dass der Deckel beim Hochziehen geschlossen sein musste, damit er uns hochziehen konnte. Entsprechend hatte Bill keinen Schimmer, was eigentlich schiefgegangen war. Ich ruderte zum Deckel und zog ihn zu mir heran, aber die nächste starke Welle riss ihn wieder auf und zerrte mich fast aus dem Käfig. Ich stemmte die Füße wieder gegen die Gitterstäbe, um Halt zu finden, und zog noch einmal mit aller Kraft. Als der Käfig herumgerissen wurde, schürften die Metallstäbe die dünne Haut an meinen Füßen auf. Aber dann bewegten wir uns und wurden langsam nach oben gezogen: Gus holte uns raus. Als wir die Oberfläche erreichten, befestigte er den Käfig am Heck. Ich explodierte aus dem Wasser, ließ mein Mundstück los und schnappte nach Luft. Von hinten fassten mich Hände unter den Achseln. »Ganz ruhig«, redeten mehrere Stimmen auf mich ein.
Ich spülte mich mit dem Schlauch ab, wobei ich darauf achtete, mit dem Wasserstrahl unterhalb meines Halses zu bleiben, um mir nicht Wimpern und Augenbrauen aus dem Gesicht zu reißen. Mit wackligen Knien ging ich zu einem freien Platz an Deck und legte mich mitsamt Neoprenanzug in die warme Sommersonne.
»Alles klar bei dir?«, rief Gus zu mir hinüber. Sein Ton verriet, dass er mich heute nicht mehr sonderlich »hardcore« fand.
Ich nickte, ohne die Augen aufzumachen.
»Okay, Les, dann gehst du jetzt mit Bill runter.«
Ich merkte, dass Bill über mir stand. Oder, genauer gesagt, ich fühlte, wie das Wasser von ihm auf mich heruntertropfte.
»Ganz im Ernst, geht’s dir gut, Noelle?« Bill nannte mich fast immer Hancock, es war seltsam zu hören, wie er mich mit meinem Vornamen ansprach. »Soll ich bei dir bleiben?«, fragte er. Ich war schrecklich gerührt, dass er sein Käfigtauchen für mich aufgeben wollte, obwohl er so einen weiten Weg dafür zurückgelegt hatte.
»Mir geht’s gut. Schau!« Ich setzte mich auf, als wäre damit bewiesen, dass es mir gut ging. »Und jetzt sieh zu, dass du wieder da runterkommst!«
Er drehte sich um und ging wieder zum Käfig, wobei er übertrieben langsame Schritte machte, um nicht auszugleiten. »Wenn du mir in letzter Minute noch ein paar Tipps geben willst, wie man Ertrinken vermeiden kann, dann bin ich ganz Ohr«, rief er zu mir rüber. »Ehrlich, so viel Ohr war ich noch nie!«
Ich verdrehte die Augen und grinste. »Pass einfach auf, dass deine süßen Löckchen nicht in das Seil an der Käfigdecke geraten.«
Eleanor lernte erst schwimmen, nachdem sie Mutter geworden war. Sie wollte ihre Kinder beaufsichtigen können, wenn sie ins Wasser gingen. Daher nahm sie im Winter 1924 Unterricht beim YWCA in New York und lernte dort im Alter von vierzig Jahren Schwimmen. Mit dem Tauchen dauerte es noch etwas länger – bis zum Sommer 1939. Da war sie bereits sechsundfünfzig Jahre alt und nahm Stunden bei Dorothy Dow, einer jüngeren Mitarbeiterin im Weißen Haus.
»Schließlich konnte sie tauchen«, schrieb Dow, »und zwar nicht nur von einer Seite des Schwimmbeckens auf die andere,
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