Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)
Schneesturm fliegt und stirbt?«
»Vage.«
»So fühlt sich das gerade an«, verkündete ich, »mit dem Unterschied, dass ich im Leben noch nichts Großes geleistet habe.«
»Zumindest hast du deine beängstigende Aufgabe für heute gefunden. Noch irgendwelche letzten Worte?«
Ich erinnerte mich an meine gestrige Unterhaltung mit Dr. Bob und scherzte: »Ja, wenn dieses Flugzeug abstürzen sollte, verbiete ich dir, dich neu zu orientieren und eine andere zu finden. Wenn du es doch tust, spuke ich bei dir und deiner Frau, bis du dich scheiden lässt und ein Ehelosigkeitsgelübde ablegst.« Matt lachte, ein bisschen zu doll für meinen Geschmack.
Fünf Minuten später kämpfte sich die Maschine durch die Luft, während der Regen wie Schweiß in Strömen über die Scheiben lief. Keine andere Fortbewegungsart regte mich so sehr dazu an, über mein Leben und meinen Tod nachzudenken. Man hört ja immer von Abstürzen, bei denen das Flugzeug so heftig aufschlägt, dass die größten Wrackteile das Format eines Post-It-Zettels haben. Vielleicht waren Skydiving-Fans ja in der Lage, dieses Gefühl des freien Falls während der Turbulenzen zu genießen, aber ich wurde wahnsinnig, wenn sich mein Magen so verselbstständigte. Wenn ich als Kind mit Freunden aufs Volksfest ging und sie alle in die Achterbahn stiegen, blieb ich unten sitzen und passte auf die Taschen auf.
Jedes Mal, wenn das Flugzeug hüpfte, atmete ich erschrocken ein und spannte jeden Muskel an. Meine Lieblingsposition während Turbulenzen: die Sitzfläche umklammern und nach oben ziehen. Der einzige Vorteil so eines dramatischen Todes wäre natürlich die Aussicht, es auf die Titelseite der New York Post zu schaffen. Doch während ich mir noch schmissige Schlagzeilen überlegte, machte ich mir Sorgen, dass mein Tod nicht so ins Gewicht fallen würde, weil ich ja nicht verlobt war. Wären Matt und ich verlobt, könnte ich es auf die Titelseite schaffen: »Verlobter erinnert sich an letztes Telefonat mit Absturzopfer: ›Heirate niemals.‹« Doch als Alleinstehende hatte ich keine Chance. Klar, wenn jemand seine Freundin bei einem Flugzeugabsturz verlor, war das schon traurig. Aber wenn eine Verlobte bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, dann erst ging’s ans Eingemachte. Es würde jetzt auch keine herzzerreißende Szene geben, bei der die Ermittler Matt einen verrußten Verlobungsring reichten und fragten: »Sir, hat sie den getragen, als Sie sich das letzte Mal sahen?«, woraufhin er zusammenbrach und schluchzte, während sie ihm Luft zufächelten. Nein, stattdessen würden sie sich an die gute alte Methode mit den »auffälligen körperlichen Kennzeichen« halten. Sie würden Matt beiseitenehmen und geradeheraus fragen: »Sir, hatte Ihre Freundin ein Delfin-Tattoo auf dem Hintern?« (Damals fand ich die Idee ganz toll. Aber was weiß man schon, wenn man sechzehn ist.)
Das Flugzeug sackte abrupt in ein Luftloch, und sämtliche Passagiere schnappten nach Luft. »Tut mir leid, Leute! Ist gerade ein bisschen holperig hier«, rief der Pilot uns aus dem »Cockpit« zu, das keine Tür hatte und so nah war, dass er nicht mal die Stimme heben musste. Ich dachte nach, wer zu meiner Beerdigung kommen würde. Ich machte mir Sorgen, dass meine Freunde aus der Medienbranche und meine Freunde vom College sich nichts zu sagen haben könnten. Dann fiel mir ein, dass sie ja sowieso über mich reden würden, also war das auch schon egal.
»Um ehrlich zu sein, ich hab sie im letzten Jahr eigentlich kaum gesehen«, würde jemand sagen, während er einen Käsewürfel mit dem Zahnstocher aufspießte.
»Ich auch nicht«, würde ein anderer sich einmischen. »Ich hab allerdings eine nette SMS an meinem Geburtstag gekriegt.«
Nach fünfzig Minuten ohne einen unturbulenten Moment begann das Flugzeug den Sinkflug, und schließlich eierten wir der guten, nassen Erde entgegen.
Als ich aus dem Flugzeug stolperte, wollte ich nur noch so schnell wie möglich zu unserer Pension. Alles an dieser Insel war malerisch: die Cottages mit den grauen Schindeln, die Straßen mit dem Kopfsteinpflaster, sogar die dicken Regentropfen. Als ich ankam, war unser kleines, überraschend helles Zimmer leer; Matt musste irgendwo im Verkehr stecken geblieben sein. Ich wand mich aus meinem feuchten T-Shirt und der pitschnassen Jeans und kickte sie mit dem Fuß Richtung Heizkörper. Nur mit BH und Unterhose bekleidet, sprang ich auf das hohe Bett und blieb bäuchlings auf der großen weißen
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