Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)
das sind ja beruhigende Aussichten«, meinte ich.
Doch Dr. Bob schaute an mir vorbei in die Ferne. »Die meisten unserer Sorgen heutzutage sind unproduktive Sorgen. Wir machen uns Gedanken über Fehler in der Vergangenheit, zerbrechen uns den Kopf darüber, was die anderen von uns denken, schaffen beklemmende Zukunftsvisionen aus dem Nichts. Unser Geist plappert und schnattert immer weiter, auch wenn wir eigentlich nur noch schlafen oder entspannen oder einfach mal gar nichts tun wollen.«
Ich musste an Eleanors Zitat denken, über das ich vor ein paar Wochen gestolpert war, das ich aber nicht richtig verstanden hatte. »Ich glaube, die meisten von uns werden zumindest von ein paar imaginären Ängsten heimgesucht. Aber ich finde es genauso wichtig, sich mit diesen eingebildeten Ängsten auseinanderzusetzen wie mit den rationalen, denn allzu oft schaden sie uns mehr.« Auf einmal begriff ich.
Dr. Bob erwachte wieder aus seinen Tagträumen. »Aber das Gute ist ja, dass Sie den ersten Schritt zur Überwindung Ihrer Schlaflosigkeit gemacht haben, indem Sie anfangen, an Ihren Ängsten zu arbeiten. Jetzt heißt es aber endlich aufs Ganze gehen.«
»Auf Ganze gehen?«, fragte ich nervös.
»Sie müssen sich entscheiden«, sagte er. »Werden Sie so weitermachen wie bisher oder eine andere Richtung einschlagen? Was passiert, wenn sie irgendwann so weit sind, dass Sie drei Tabletten pro Nacht nehmen? Oder sogar vier?«
Es kam mir unklug vor, ihm mitzuteilen, dass ich schon bei fünf war.
»Schlaftabletten verändern künstlich Ihren zirkadianen Rhythmus«, fuhr er fort. »Wenn Sie Ihre Schlafprobleme besiegen wollen, müssen Sie runter von diesen Tabletten.«
Eine Welle von Panik überrollte mich. Meine Schlaflosigkeit gab mir das Gefühl, Gefangene meines eigenen Geistes zu sein. Wenn ich im Dunkel lag, konnte ich stundenlang nichts anderes tun als nachdenken. Ich war in meinen Sorgen gefangen. Die Tabletten waren mein einziger Fluchtweg aus diesem Gefängnis, eine Art, mir selbst zu entkommen. Stellte ich mich in diesem Jahr nicht schon genug Ängsten, sodass ich mir diese ersparen konnte? Musste ich jetzt nicht nur tagsüber, sondern auch noch nachts mit meinen Ängsten ringen? Unmöglich, das brachte ich nicht. Nicht jetzt. Nächstes Jahr vielleicht, wenn mein Projekt vorbei war und ich einen neuen Job hatte und wieder ein einigermaßen normales Leben führte – dann würde ich mich darum kümmern. Aber jetzt? War das sein Ernst?
9. K APITEL
Glück ist kein Ziel, es ist ein Nebenprodukt …
Denn wir bewahren uns unser Interesse
am Leben und freuen uns immer wieder
auf den nächsten Tag, wenn wir andere
Menschen erfreuen.
Eleanor Roosevelt
U nd dann rief das Krankenhaus an. Es war über einen Monat her, dass ich meine Bewerbung eingereicht hatte. Ich nahm an, dass sie meinen Hintergrund überprüft und entdeckt hatten, dass ich zu Collegezeiten einmal verhaftet worden war, weil ich einem Polizisten Widerworte gegeben hatte, der in unsere Party platzte und mich als Sicherheitsrisiko einstufte. Doch stattdessen teilten sie mir mit, dass sie meinen Aufsatz toll gefunden hätten, und gerade gäbe es wieder eine freie Stelle für einen ehrenamtlichen Mitarbeiter.
Nach einem Vorstellungsgespräch, einem Einführungskurs und einer ausführlichen medizinischen Untersuchung nebst Drogentest steckte man mich als Ehrenamtliche ins Milchshake-Programm, das beinhaltete, Milchshakes auf der Krebsstation auszuteilen. Meine Kollegin war eine bezaubernde dreiundzwanzigjährige ehemalige Turnerin und Cheerleaderin namens Becca, die Unmengen von Sommersprossen auf der Nase hatte und penetrant gut gelaunt war. Trotzdem war sie mir sofort sympathisch. Unsere Aufgabe war denkbar einfach: Wir mussten von Zimmer zu Zimmer gehen und fragen, ob die Patienten lieber Schokolade oder Vanille wollten, mussten den Shake mixen und servieren. Die onkologische Abteilung war eingeteilt wie ein Studentenwohnheim. Die Zimmer lagen an einem langen Flur, und jedes hatte einen separaten Eingang und ein privates Badezimmer. Teilweise waren es Zweierzimmer, in denen die beiden Betten durch einen Vorhang abgeteilt waren.
An meinem ersten Tag beobachtete ich erst mal, wie Becca ein paar Bestellungen aufnahm. Sie visierte ein Medizinstudium an und arbeitete ehrenamtlich auf allen möglichen Stationen im Krankenhaus, daher war sie den Umgang mit den Patienten schon gewöhnt. Zu Anfang klang meine Stimme schrecklich hoch, das reinste Falsett. Ich redete
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