Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)
andere als die von letzter Woche, stimmt’s?«, fragte er mit anklagendem Ton.
Mein schuldbewusstes Gesicht war ihm Antwort genug. »Ich wusste es doch! Das Logo der Apotheke war auch ein anderes. Wie viele von den Dingern nimmst du eigentlich jede Nacht?«
Da ich ihn nicht anlügen konnte, gestand ich ihm sofort die Wahrheit. »So viel, dass ich nicht mehr genug Geld für mein Jahr der Angst haben werde, wenn ich weiter so viel von dem Zeug schlucke.«
»Ist das so teuer?«, fragte er.
»Wenn ich dir die Summe nennen würde, würdest du mir nicht glauben. Außerdem werde ich auch keine Schlaftabletten nehmen können, wenn ich auf den Kilimandscharo steige.«
Sobald wir zu Weihnachten unsere Geschenke ausgepackt hatten, hatte ich mich hinter den Computer geklemmt, um im Internet zu recherchieren, wie ich meine Kilimandscharo-Besteigung organisieren konnte. Beim Durchlesen der Erfahrungsberichte stolperte ich zufällig über den Hinweis, dass die Einnahme von Schlaftabletten geradezu gefährlich wäre, und war völlig erschüttert. Die Atmung ist durch den Sauerstoffmangel sowieso schon ein Problem, und wenn man sie durch solche Tabletten zusätzlich dämpfte, konnte man einfach im Schlaf sterben.
Die Situation erschien ausweglos. Ich konnte mir nicht vorstellen, so weit weg von zu Hause und unter solch anstrengenden Bedingungen ohne meine Tabletten auskommen zu müssen. Was, wenn ich die ganze Zeit kein Auge zubekam? Ich würde es nie zum Gipfel schaffen, geschweige denn hin und zurück. Aber ich konnte mir auch nicht vorstellen, wie ich meinen Eltern eröffnen sollte, dass ich doch nicht fahren würde. Was sollte ich sagen? Dass mir meine Schlaftabletten wichtiger waren als ihr großzügiges Geschenk? Das konnte ich nicht bringen, schon gar nicht nach dem Gespräch mit meiner Mutter, in dem ich ihr empfohlen hatte, meiner Schwester und mir mehr zuzutrauen. Wenn ich ihr von den Tabletten erzählte, gäbe ich ihr Grund, sich bis ans Ende ihrer Tage Sorgen zu machen.
»Du solltest es zum Teil deines Projekts machen, dich auch deinen Süchten zu stellen«, schlug Matt vor. »Komm ganz runter von den Tabletten, bis du nach Afrika fährst. Gibt es irgendwas, wovor du mehr Angst hast, als die Schlaftabletten wegzulassen?«
»Wenn es so etwas geben sollte, dann will ich es gar nicht wissen«, erwiderte ich finster.
Ein paar Tage später rief mir Dr. Bob in Erinnerung: »Die Forschung hat nachgewiesen, dass eine kognitive Therapie bei der Behandlung von Schlaflosigkeit wirkungsvoller ist als Schlaftabletten.«
»Ich dachte immer, dass Sie das bloß sagen, weil Sie keine Rezepte ausstellen dürfen!« Dr. Bob hatte zwar einen Doktortitel, aber er war kein Dr. med. »So wie die Kerle mit dem kleinen Schwanz, die einem einreden wollen, dass es nicht auf die Länge ankommt!«
Er warf mir einen mahnenden Blick zu.
»Tut mir leid.«
»Schlaflosigkeit geht meist auf übermäßige geistige Aktivität zurück – in erster Linie Sorgen«, erklärte er. »Erzählen Sie doch mal, worüber Sie so nachdenken, wenn Sie einzuschlafen versuchen.«
»Alles Mögliche. Was passiert, wenn ich irgendwann die Miete nicht mehr zahlen kann? Womit werde ich meinen Lebensunterhalt verdienen, wenn dieses Jahr um ist? Ist Matt der Richtige? Sind das Ben Afflecks echte Haare?« Ich hielt inne und dachte mir, dass Dr. Bob wahrscheinlich nicht wusste, wer Ben Affleck war, aber er fuhr einfach fort.
»Zuerst müssen Sie sich klarmachen, dass wir dazu geschaffen sind, uns nachts unruhig hin und her zu wälzen«, erklärte er. »Diese Unruhe hat unseren Vorfahren geholfen, in ihrer primitiven Umgebung zu überleben. Unter Umständen, in denen man jederzeit plötzlich von wilden Tieren angegriffen werden kann, wo einen jederzeit Fremde umbringen können und das Überleben davon abhängt, ob der Stamm wohlgesinnt ist, konnten Menschen ohne Angst nicht überleben.«
»Aber warum mache ich mir Sorgen? Wir leben doch nicht mehr in so einer Welt.«
»Das stimmt schon. Die moderne Zivilisation hat die meisten von diesen Bedrohungen ausgeschaltet, aber so schnell, dass unsere Evolutionsbiologie noch immer hinterherhinkt«, sagte er. »Tatsächlich ist die Zahl der Ängste in den letzten fünfzig Jahren dramatisch angestiegen. Ein durchschnittliches Kind hat heutzutage denselben Grad an Angst wie der durchschnittliche Psychiatriepatient in den Fünfzigerjahren.«
»Und das sind dann die Leute, die dieses Land in vierzig Jahren regieren sollen? Na,
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