Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)
zu, dann trat er ans schwarze Brett und überflog den Einsatzplan. Die Techniker wussten in der Regel am Abend vorher, was sie erwartete, aber natürlich konnte etwas Unvorhergesehenes in der Nacht die Pläne umwerfen. Bente musterte Kalle. Sie würden heute wie abgesprochen auf die Beerdigung des Lehrers fahren, was Kalle nicht davon abgehalten hatte, seine knallrote Daunenjacke und ein Käppi mit einem Ibiza-Werbeaufdruck zu tragen.
»Ging’s nicht ein bisschen dezenter?«
Kalle sah an sich herunter, zuckte die Achseln. »Is meine wärmste Jacke. Und für so’n Rechten …«
Bente wollte widersprechen, aber dann ließ sie das Thema fallen. Seit über 15 Jahren fuhr sie mit Kalle durch die Stadt, aber seit letzter Woche hatte er sich verändert. Er war stiller geworden, erzählte nichts mehr von seiner Frau aus der Ukraine und seinen beiden Kindern. Sie wollte jetzt nicht den Chef rauskehren und die Distanz zwischen ihnen verstärken.
»Wann geht’s los?«
Sie sah auf die Uhr. »In zehn Minuten. Ich schreib das hier noch zu Ende.«
Kalle rückte sein Käppi zurecht. »Ich hol schon mal den Wagen.«
»Is gut, Harry.«
Er grinste und stapfte aus der Tür. Bente sah ihm nach. Meistens hatte sie sein ewiges Gerede gestört, vor allem, wenn sie sich noch vorbereiten musste oder bereits den Text für die Nachrichten schrieb. Aber die Stille der letzten Tage hatte sie schrecklich gefunden. Sie speicherte die Themenliste und schickte sie über den Verteiler. Die Beerdigung fand auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Mitte statt. Brinkmann hatte zwar in Zehlendorf gewohnt, aber sein Vater hatte vor Jahrzehnten in der Gemeinde in Mitte gepredigt. Pastor Brinkmann war mittlerweile aus dem Koma erwacht, aber noch zu schwach, um an der Beerdigung seines Sohnes teilzunehmen. Vom Krankenbett aus hatte er sich bemüht, Lukas auf diesen Friedhof betten zu können. Vielleicht war es ein Zeichen, dass er ihn weit weg haben wollte von den Geschehnissen der letzten Jahre. Und von dem Umfeld der Rechten Liga.
Bente runzelte die Stirn. Ausgerechnet der Dorotheenstädtische. Es war der Prominentenfriedhof in Berlin, von Brecht bis Johannes Rau las man dort viele bekannte Namen auf den Grabsteinen. Wenn dort eine Beerdigung anstand, kamen viele Schaulustige in der Hoffnung, ein paar private Momente der großen Stars mitzuerleben. Als wäre das nicht schon schlimm genug, gab es auf dem Friedhof einen großen Gedenkplatz für Widerstandskämpfer im Nationalsozialismus, Namen wie Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi waren in Stein gemeißelt. Bente fürchtete, die Rechte Liga würde auch hier, auf dem letzten Weg des Lehrers, noch einmal die Gelegenheit für einen großen Auftritt nutzen.
Während der Computer ihre Abmeldung registrierte, griff sie nach ihrer schwarzen Wolljacke. Sie zog ein paar Fäden aus dem Ärmel und seufzte. Für den Bericht über die Beer digung war eine halbe Stunde Ü-Wagen-Zeit eingeplant. Wenn es Ärger gab, musste sie länger bleiben, dann geriet das ganze Programm durcheinander. Der Mord am Lehrer durch seinen ehemaligen Freund und die Verbindung zur Rechten Liga hatten für Aufsehen gesorgt. Sie rechnete mit einer großen Menschenmenge. Und sie war sich sicher, dass sie heute auf allen Wellen gesendet werden würde.
Sie nahm ihre Tasche und ging über den Flur ins Sendestudio. Susanne saß am Mischpult und lächelte ihr mit müden Augen entgegen. Auf einmal spürte Bente, wie die Wut in ihr aufstieg. Die Redakteure am Wochenende, die Nachrichtensprecher und Aufnahmeleiter, sie alle waren freie Mitarbeiter. Bente konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt einen festen Mitarbeiter an einem Samstagmorgen hier gesehen hatte. Ohne etwas zu sagen, griff sie zum Telefonhörer und drückte auf die eingespeicherte Nummer des Wellenchefs. Das mache ich anders, dachte sie, während sie dem Tuten zuhörte, wenn ich den Vertrag unterschrieben habe, dann wird das das Erste sein, was ich …
»Schulenburg?«
»Hallo, hier ist Bente, entschuldigen Sie, dass ich Sie am Wochenende störe«, sie fing einen erstaunten Blick von Susanne auf und ärgerte sich sofort, dass sie sich für den Anruf entschuldigte, »also, ich bin gleich weg zu dieser Beerdigung und …«
»Ist irgendwas damit nicht in Ordnung?« Schulenburgs Stimme klang ungeduldig.
»Nein, alles okay, also, ich wollte nur sagen, ich fahre gleich los und …«
»Bente, können wir das nicht am Montag besprechen, ich habe jetzt wirklich keine
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