Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)
lange.«
Der Junge lächelte.
»Okay.«
»Na denn tschüss. Bis nachher.«
»Tschüss.«
Emma fand den Pastor in der Kirche. Er fegte mit gebeugtem Rücken die Kippen auf dem Mittelgang zusammen. Als die Seitentür knarrte, sah er hoch und schien verlegen.
»Ach, die Frau Reporterin. Enna, nicht wahr? Sie sehen einen alten Mann bei unnützer Arbeit.«
Emma setzte sich auf die zersplitterte Bank.
»Ich heiße Emma, Herr Brinkmann. Und Arbeit lenkt ab. Dann ist sie eben dafür nütze.«
Der Mann legte den Besen zur Seite und setzte sich neben sie. Seine Hände zitterten leicht, bis er sie wie zum Gebet verschränkte.
»Ich hab bei Todesfällen immer das Gegenteil geraten. Kommt zur Ruhe, hab ich gesagt, betet. Aber immer war da nur Hektik, Anzeige schreiben, Tante Inge anrufen, die Blumen und den Sarg aussuchen.«
Er starrte auf seine Hände. Emma fiel auf, dass er noch immer einen Ehering trug. Er seufzte und sagte:
»Nur ich hab nichts zu tun. Was soll ich denn sagen? Und zu wem? Ich weiß ja nicht mal, wann ich Lukas beerdigen kann.«
»Was sagt denn die Polizei?«
Brinkmann sah sie an.
»Auf die Polizei zu hören, das habe ich mir schon vor vielen Jahren abgewöhnt.«
Emma erwiderte seinen Blick und meinte leise:
»Aber es ist doch auffällig, der Tod zweier junger Männer, so kurz nacheinander, aus dem gleichen Dorf.«
Brinkmann schien sie nicht gehört zu haben, er saß da, in Gedanken versunken. Emma hakte nach:
»Ihr Sohn Lukas wird in seiner Wohnung ermordet aufgefunden. Der junge Schüler Marlon stirbt wenige Wochen vorher, mit Drogen vollgepumpt vor einem Club auf der Straße abgelegt und dort liegen gelassen. Zwei Männer, keiner alt, beide hier aus dem Dorf.«
»Was soll ich Ihnen darauf sagen, Enna? Soll ich Ihnen mit Gottes Wegen kommen? Das erspar ich uns.«
Der Pastor stand auf und ging zum Altar. Emma fragte laut:
»Kannten die beiden sich?«
»Ja.«
Ganz leicht legte der Mann die Hand auf den weißen Marmor des Altars. Dann drehte er sich zu Emma um.
»Als Jugendlicher hat Lukas auf die kleine Heike aufgepasst. Und als Student war er manchmal hier und half ihr bei den Schularbeiten. Marlon hat ihn vergöttert.«
»Warum?«
Der Pastor sagte:
»Nach dem Tod der Eltern waren die Kinder ziemlich verwahrlost. Heike bemühte sich, aber sie war ja selber fast noch ein Kind. Lukas kümmerte sich um Marlon. Er brachte ihn an seiner Schule unter, er lernte mit ihm. Marlon wollte so sein wie er.«
»War Marlon auch bei der Rechten Liga?«
Pastor Brinkmann wandte sich vom Altar ab und ergriff wieder den Besen. Auf ihn gestützt starrte er nachdenklich vor sich hin.
»Ich hab versucht, es zu verhindern. Marlon war nicht so wie die anderen.«
Er lächelte bitter. »Aber welche Chance haben Sie bei einem halben Kind, das dazugehören will?«
»War Lukas noch oft hier im Dorf?«
»Wenn, dann hat er nicht bei mir vorbeigeschaut. Die Kirche hat er nur noch für ihre Versammlungen betreten. Und zu mir ins Pfarrhaus ist er nur einmal gekommen – um mir zu sagen, dass ich packen muss. Die Partei will das Haus übernehmen.«
»Die Partei?«
»Offiziell die Gemeinde, aber Sie haben ja sicher schon mitbekommen, dass ohne die Rechten hier nichts läuft.«
»Komisch, dass das hier niemanden zu stören scheint.«
Der Pastor lachte unfroh.
»Oh doch. Es stört schon einige. Die meisten geben den Kampf aber irgendwann auf und gehen.«
Emma sah auf den breiten schlichten Goldring am Finger des Mannes und sagte leise:
»Hat Lukas’ Mutter den Bruch zwischen Ihnen und Lukas mitbekommen?«
Brinkmann stopfte sich die Hände in die Taschen seiner Cordjacke.
»Sie hat ihren eigenen Kampf gegen den Krebs geführt.«
Er sackte etwas zusammen. Der große schwere Mann sah plötzlich alt und müde aus. Leise sagte er:
»Ich habe es vor ihr verbergen wollen. Die Flugblätter und Nazibücher, die Musik und Lukas’ neue Freunde. Ich wusste, dass sie keine Kraft dafür hatte. Vielleicht habe ich es zu lange verdrängt. Ich hoffte, dass es nur eine Phase war, eine Trotzreaktion gegen mich.«
Der Pastor und Emma schwiegen. Brinkmann holte tief Luft, dann begann er, mit langsamen Strichen durch den Mittelgang zu fegen. Auf einmal hielt er inne und sagte:
»Dann kam der Tag, an dem ich es nicht mehr ignorieren konnte. Ich wusste, dass ich ihn endgültig verloren hatte.«
Emma beugte sich vor.
»Was war passiert?«
»Es war am 17. Oktober 1987. Diesen Abend werde ich nie vergessen. Zum ersten Mal
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