Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)
ihm zu erfahren, dachte Emma. Sie ging zum Kühlschrank und goss ihnen beiden ein Glas Weißwein ein. Das eine stellte sie vor Blume auf die Theke, mit dem anderen ging sie durch den Raum zum Fenster. Sie sah hinaus. An dem Haus gegenüber auf der anderen Seite des Kanals prangte meterhoch das Anti-Atomkraft-Zeichen. Daneben stand wie immer der Streifenwagen vor der jüdischen Synagoge. Sie nahm einen Schluck. Der Wein war viel zu kalt.
»Wie ist er gestorben?«
Blume sah hoch.
»Brinkmann? Wieso willst du das wissen?«
Sie drehte sich zu ihm um.
»Ich will das nicht bringen. Aber Bente meinte, es könnte wichtig sein, wie sie ihn umgebracht haben. Sie kennt die Codes in der Szene.«
Blume zögerte. Er trank einen Schluck.
»Du weißt, dass ich dir darüber nichts erzählen kann.«
Ihr Handy piepste. Emma stellte ihr Glas ab und zog das Telefon aus ihrer Tasche. Eine Nachricht von Weiß. Blattner hatte seine Aussage über die politischen Pläne mit Brinkmann bestätigt. Im Anhang fand Emma einen Link zu Anonymus und der Operation Blitzkrieg. Sie setzte sich auf die Couch und scrollte durch die Texte. Blume kam zu ihr und sah ihr über die Schulter. Emma sah hoch.
»Von Weiß. Er hat den Hackern damals den Hinweis auf die Website von Rocco Schmitz gegeben.«
»Ach, die Sache. Wir hatten danach ganz schön zu tun.«
»Wie meinst du das?«
Blume nahm ihr Weinglas und stellte es vor sie auf den Couchtisch.
»Anonymus hat Namen und Adressen sämtlicher Kunden ins Internet gestellt. Sie wurden bedroht und beleidigt. Bei einem haben sie das Auto angezündet.«
Emma zuckte die Schultern.
»Na und! Die Nazis sind doch auch nicht zimperlich mit ihren Gegnern.«
»Das waren doch nicht alles Nazis! Eine Mutter hatte was bestellt, weil ihr elfjähriger Junge so einen Pulli wollte. Ein anderer stand auf diese Musik, war aber total harmlos.«
Emma klickte die Mail weg und sah wütend zu Blume.
»Wenn alle so denken, passiert nie etwas! Wie soll man denn so gegen die Typen ankommen?«
Blume stand auf und ging zur Küchenzeile. Seine Stimme klang kühl, als er sagte:
»Wer sich illegal verhält, spielt den Rechten in die Hände. Darauf warten die doch nur. Damit sie sich als Opfer inszenieren können.«
Er inspizierte den Kühlschrank, fand aber anscheinend nichts, was ihm zusagte. Laut schlug er die Tür wieder zu, als er sich zu Emma umdrehte.
»Ich bin Polizist, und ich breche nicht das Gesetz. Auch wenn das nicht so cool klingt wie das, was deine anonymen Hacker so treiben.«
Er ließ sich wieder neben Emma auf die Couch fallen und griff nach der Zeitung. Beide sagten eine Weile kein Wort. Emma fragte sich, ob er Recht hatte. Sie vertrat nicht die These, dass der Zweck die Mittel heiligte, aber sollten hier nicht andere Maßstäbe gelten? Angenommen, diese Mutter wusste nicht, was ihr elfjähriger Sohn so gut an den Klamotten fand, war es nicht sinnvoll, ihr die Augen zu öffnen? Emma warf einen Blick auf Blume, der neben ihr mit leerem Blick auf die Zeitungsseite starrte. Sie war erstaunt, wie heftig er auf ihren Einwand reagiert hatte. Der ruhige Blume, der sich auf jede Diskussion mit ihr einließ, der über ihre Argumente nachdachte und sich auch überzeugen ließ und nicht wie die meisten Männer auf seinem Standpunkt beharrte. Jetzt spürte sie nichts von dieser Offenheit. Er schlug die Seite seiner Zeitung um, dabei hätte Emma schwören können, dass er kein Wort von dem gelesen hatte, was dort stand. Er musste ihren Blick längst gespürt haben, aber er wandte nicht den Kopf. Emma sah ein paar graue Strähnen in seinem dunklen Haar. Sie hätte gerne darüber gestrichen. Stattdessen zog sie die Beine im Schneidersitz an sich und nahm ihre Unterlagen auf die Oberschenkel. Sie zog die drei Ausdrucke hervor, die sie am Morgen aus dem internen Zeitungsarchiv gedruckt hatte und bis jetzt nicht hatte anschauen können. Sie alle berichteten von dem Überfall einer Gruppe von ostdeutschen Neonazis auf Konzertbesucher in einer Berliner Kirche im Oktober 1987. Der Überfall, von dem der Pastor ihr erzählt hatte.
Es war ein Konzert der westdeutschen Band Element of Crime. Sie spielten in der Zionskirche in Mitte, ein damaliges Zentrum der Andersdenkenden in der DDR, geführt von der oppositionellen Umwelt-Bibliothek. Am Tag des Konzerts war der Platz umstellt von sogenannten Toni-Wagen der Volkspolizei. Nach dem Ende des Konzerts befanden sich noch ungefähr 300 bis 400 Jugendliche in der Kirche. Etwa 30
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