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Wer schlafende Hunde weckt

Wer schlafende Hunde weckt

Titel: Wer schlafende Hunde weckt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Brookmyre
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und ich hatte Angst. PC Howard sagte, ich solle im Wagen bleiben, weil er fürchtete, die Jugendlichen könnten gewaltbereit sein.«
    Um den Anklagepunkt des Widerstands gegen die Staatsgewalt zu stützen, sagte sie aus: »Die Angeklagten ließen sich nicht einfach so von PC Howard und PC McLean in den Wagen setzen. Sie traten gegen die Türen und schlugen um sich. Ich bin noch nicht so lange bei der Polizei, und es hörte sich schrecklich an.«
    Sergeant Morrison war als moralische Unterstützung mitgekommen und nickte ihr unauffällig zu. Braves Mädchen. Gut gemacht. Catherine freute sich. Doch dann stand der Verteidiger auf.
    »Was für Lärm haben die Angeklagten denn gemacht?«, fragte er. »Könnten Sie da vielleicht etwas mehr ins Detail gehen?«

    Das hörte sich nach einer ehrlichen Nachfrage an, aber später verstand sie, dass er damit zeigte, dass er wusste, dass sie nicht dabei gewesen war. Das wichtige Wort war »Detail«: Er wusste, dass ihre Aussage vorher abgesprochen war, und dass sie an den Details scheitern würde.
    »Sie haben gebrüllt und gesungen«, erwiderte sie, worauf sie sich mit ihren Kollegen geeinigt hatte. »Aus voller Brust, was ja mal passiert, wenn man betrunken ist. Dann vergisst man schnell, wie sehr man damit andere stört – vor allem in einer ruhigen Nacht in einer Wohngegend.«
    »Und was haben sie gebrüllt? Oder gesungen? Können Sie mir ein paar Beispiele nennen?«
    »Ich, äh, kann mich nicht mehr erinnern. Ich weiß nur noch, wie laut es sich in der stillen Nacht anhörte.«
    »Nur ein Beispiel meinetwegen. Vielleicht haben sie irgendeinen Namen gerufen oder irgendeinen Satz, der sich Ihnen eingeprägt hat? Haben sie vielleicht wegen irgendetwas gejubelt?«
    Sie erwischte sich dabei, wie sie zu Howard und McLean hinüberschaute, dann zum Sergeant auf den Zuschauerbänken.
    »Ich weiß nicht mehr«, sagte sie hilflos. Sie wollte sich die Jacke über den Kopf ziehen und wegrennen.
    »Anscheinend war es für Sie so eine traumatische Erfahrung, dass Ihr Unterbewusstsein das Ganze lieber ausblendet, als Sie den Albtraum noch einmal durchleben zu lassen«, spottete der Anwalt. »Doch das hat sich nicht auf alle Ihre Sinneseindrücke gleich ausgewirkt. Ihr Blick wurde anscheinend von Ihrer Panik noch geschärft. Sie haben erklärt, wie Sie ängstlich vorne im Wagen kauerten und sich vor den lauten, potenziell gefährlichen jungen Männern versteckten. Können Sie mir dann bitte erklären, wie Sie sehen konnten, wie die Angeklagten mit Zähnen und Klauen dagegen angekämpft haben, in den Wagen gesteckt zu werden?«

    Es war eine Katastrophe. Die Klage wurde nicht nur abgewiesen, der Sheriff machte sie alle auch noch zur Schnecke, weil sie das Gericht eine Menge Zeit gekostet hatten und knöpfte sich Catherine besonders vor, weil sie »nicht die geringste Glaubwürdigkeit« an den Tag gelegt hatte. Sie merkte, wie sie rot wurde, als er das sagte, und es grenzte an ein Wunder, dass sie es noch aus dem Saal schaffte, bevor sie in Tränen der Erniedrigung und Scham ausbrach.
    Die Reaktionen ihrer Kollegen waren ein bisschen gemäßigter, um es vorsichtig auszudrücken. Mal klappt’s, mal nicht, schien ihre Einstellung zu sein, und Catherine verstand, dass es sich um eine Standardprozedur handelte, die tief in der Kultur verankert war. Abends gingen sie in den Pub, und fast die ganze Wache kam vorbei. Jeder gab ihr einen Drink aus und klopfte ihr auf den Rücken. Selbst Polizisten, die Howard und McLean für Arschlöcher hielten. Alle fanden, dass Catherine sich tapfer geschlagen hatte. Sie hatte ihre Loyalität bewiesen, was wichtiger war als irgend so ein beschissener, kleiner Ruhestörung-und-Widerstand-Fall. Niemandem war die Sache peinlich, so etwas passierte in dem Job eben manchmal.
    Alle taten, als hätte sie eine Abschlussprüfung bestanden und würde jetzt richtig dazugehören, aber Catherine merkte, dass sie bei so etwas gar nicht dazugehören wollte. Sie fühlte sich ausgenutzt und dreckig. Hier ging es nicht um Solidarität, sondern um Nötigung, um den Zwang, sich unterzuordnen. Und wenn man erst bewiesen hatte, wie schwach die eigene Integrität war, war man nicht mehr in der Lage, gegen diese Missstände aufzubegehren.
    Der positive Effekt des Ganzen war, dass sie eine immunisierende Dosis bekommen hatte. Sie schwor sich, dass nie wieder jemand sie dazu bringen würde, für ihn zu lügen, ganz egal welche Konsequenzen das für ihren Stand bei ihren Kollegen hatte.

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