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Wer Schuld War

Titel: Wer Schuld War Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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vergessen hätte. Dann war
     Gina auch noch diejenige, die Pilar ansprach, weil Alex zurückgewunken hatte, und sie schließlich zwischen ihm und Pilar an
     der Bar gelandet waren, und man ja nicht einfach so tun konnte, als gäbe es die fremde Schönheit nicht. Und im Nachhinein
     verflucht sie diesen unglaublich dummen Zufall, dass Alex, den sie noch nie ohne Verabredung im Nachtleben getroffen hatte,
     ausgerechnet jetzt mit einer Frau auftauchte, die die Macht hatte, Pauls Leben auf den Kopf zu stellen.
    Unglaublich heiß hier, was?
    Ach, mir kann es gar nicht heiß genug sein. Ich friere hier eigentlich immer. In all den Jahren kann ich mich an diese Temperaturen
     nicht gewöhnen. An das, was man hier Frühling nennt.
    Woher kommst du?
    Persien. Aber ich bin schon so viele Jahre hier, dass es beinahe nicht mehr wahr ist.
    Persien? Du meinst Iran?
    Für mich bleibt es Persien. Ich weiß, ich bin altmodisch.
    Nein, gar nicht.
    Und dann hatte sich Paul eingeschaltet.
Persien passt viel besser zu dir. Persien ist Poesie.
    Er verstummte. Wirkte wie gelähmt.
    Allerdings nicht mehr, als sich Pilar ihm zuwandte, den Scheinwerfer ihrer ungeteilten Aufmerksamkeit auf ihn richtete, ihn
     wärmte mit ihren dunklen, strahlenden Blicken und ihrer heiteren, vertrauensvollen Art, und so verabschiedetesich Gina, nachdem sie vollkommen ungewollt den Eisbrecher gegeben hatte.
    Sie bezahlt, schlendert dann langsam durch die immer noch milde Nacht, kann sich nicht entscheiden, ob sie bei Paul klingeln
     soll oder nicht, hört von irgendwoher schrilles Frauengelächter, dann das Zufallen einer Autotür, wodurch das Gelächter abrupt
     abbricht, während aus einem Lokal basslastige Musikfetzen dringen, ein Pärchen in einer verschatteten Einfahrt schmust, und
     sich Gina eine letzte Zigarette anzündet und im Gehen raucht, genussvoll und langsam. Obwohl alles ruhig ist, kommt ihr die
     Nacht voller Geheimnisse vor. Sie denkt mit einem angenehmen Schaudern an ihre alte Heimat, das Wohnviertel mit geschrubbten,
     geteerten Einfahrten und wie mit dem Lineal ausgerichteten Vorgärten vor einstöckigen Häusern, in denen sich die Nachbarn
     misstrauisch beäugen und beim geringsten Anlass hochtrabend formulierte anonyme Beschwerdebriefe tippen.
    Ein Mann kommt ihr entgegen, und sie überlegt, die Straßenseite zu wechseln. Aber sie will keine Angst zeigen, also bleibt
     sie auf ihrer Seite, legt nur ein forscheres Tempo vor, zwingt sich, den Kopf zu heben, und dem Blick des Mannes nicht auszuweichen,
     wobei sie feststellt, dass es kein Mann ist, sondern ein hochgewachsener Jugendlicher von vielleicht fünfzehn, sechzehn Jahren,
     ein auffallend hübscher Junge, weswegen sie sich wahrscheinlich so gut an ihn erinnert, obwohl sie ihn kaum mehr als dreimal
     gesehen hat.
    »Hallo«, sagt sie munter, während sie überlegt, wie er heißt, »so spät noch unterwegs?« Aber der Junge sieht an ihr vorbei,
     geht mit stierem Blick an ihr vorüber, als hätte er nicht einmal mitbekommen, dass ihn jemand angesprochen hat. Ein kalter
     Hauch scheint Gina anzuwehen, ernüchtert sie, und sie bleibt unwillkürlich stehen und schautihm nach, sieht, dass sein Gang unrund, beinahe schwankend wirkt und man selbst von hinten sehen kann, dass mit ihm etwas
     nicht stimmt. Gina überlegt, ob sie Pilar anrufen soll, denn der Weg, den der Junge eingeschlagen hat, führt nicht zu Pilars
     Wohnung, sondern in die entgegengesetzte Richtung.
    Sie nimmt unschlüssig ihr Handy aus der Manteltasche.
    Dann fällt ihr ein, dass sie Pilars Nummer nie eingespeichert hat und man sie über die Auskunft nicht bekommt.
    Sie steckt ihr Handy erleichtert wieder ein und dreht sich nach dem Jungen um.
    Er ist weg.

PHILIPP
    Philipps Träume sind groß und schwer. Sie liegen wie steinerne Quader auf seiner Brust, sodass er, wenn er morgens aufwacht,
     manchmal vergessen hat, wie man atmet, aber das ist natürlich nur eine Täuschung, in Wirklichkeit atmet er ganz normal, sonst
     wäre er ja längst verreckt.
    Er redet sich an solchen Morgen gut zu.
Stell dich nicht an
. Er beschimpft sich selbst, weil er sich so schwach fühlt, aber es nützt nichts, auch maximale Selbstbeherrschung nützt nichts,
     stattdessen bleibt der Druck auf seinem Brustkorb den ganzen Tag über konstant unangenehm, und dann ist ihm, als müsste er
     schreien und sich auf die Brust trommeln wie Tarzan oder King Kong, um den Eisenring zu sprengen, der ihn einschnürt.
    An solchen Tagen schreibt er in der

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