Wer Schuld War
wirklich Barbara sprechen wollen, jedenfalls hat sie den Grund vergessen oder
verdrängt, wie sie auch jetzt noch alles verdrängt, was mit Manuel und ihr zu tun hat.
Viel ist das ehrlich gesagt nicht. Wenn Manuel bei ihr vorbeikommt – manchmal mitten am Tag, einmal sogar vor zehn Uhr morgens –, verschwenden sie ihre Zeit nicht mit Reden, bestehen sie nur noch aus Händen, Lippen und Haut, löst sich ihrer beider Individualität
in einer beinahe krankhaften Ekstase auf. Mehr gibt es über diese Beziehung nicht zu sagen, außer dass Gina zu viel darüber
nachdenkt.
Er saugt mich aus
, denkt sie, während sie in ihrem stillen Atelierzimmer vor der Staffelei steht, vor sich selbst so tut, als würde sie arbeiten,
und in Wirklichkeit auf ihnwartet, vielmehr: auf das, was er mit ihr tut. Und plötzlich kommt ihr der Verdacht logisch vor (hat er nicht ungefähr zur
selben Zeit, als ihre Affäre begonnen hatte, das Angebot aus Katar bekommen?), dann wieder völlig absurd, und sie legt den
Pinsel weg, geht in die Küche und macht sich Kaffee.
Zum Kaffee – sie trinkt ihn schwarz, ohne Zucker – raucht sie eine Zigarette, obwohl sie weiß, dass sie die Kombination aus
Koffein und Nikotin bleich und nervös machen wird. Tatsächlich beginnen ihre Hände schon nach ein paar Zügen zu zittern, und
sie drückt die Zigarette aus und geht danach ins Bad und mustert sich im Spiegel, wo sie eine sehr blasse Frau ansieht, deren
dunkle Haare strohig aussehen, und der das egal zu sein hat, denn sie würde sich nie Manuel zu Gefallen hübsch machen, diese
Art von Beziehung haben sie nicht, und Manuel würde entsprechende Bemühungen vermutlich nicht einmal merken. Wenn er kommt,
sieht er sie kaum an, sagt Hallo – einfach nur Hallo, ohne Gina danach –, lächelt kurz die Wand hinter Gina an als allernotwendigstes Zugeständnis an allgemein gültige Umgangsregeln, und umfasst
sie dann mit der größten Selbstverständlichkeit, als gehörte sie ihm, als existierte sie überhaupt nur zu seinem Vergnügen,
als hätte sie gar kein eigenes Leben und brauchte es auch gar nicht. Zumindest, solange er bei ihr ist.
Sie wischt ihre Hände mit dem in Terpentin getauchten Tuch ab, um eine SMS an Paul zu schreiben, die fünfte oder sechste in
zwei Tagen, und bisher hat er auf keine davon geantwortet, aber sein Schweigen ist sie gewöhnt. Manchmal schaltet er sein
Handy tagelang nicht ein, und eigentlich hätte sie längst beleidigt sein müssen, aber mit Vorwürfen erreicht man bei Paul
nur, dass er sich völlig zurückzieht, also tut sie meistens so, als würde sie nichtsmerken, bleibt mit sanfter Hartnäckigkeit an ihm dran, und weiß tief im Inneren, dass ihr Stolz dem irgendwann ein natürliches
Ende setzen wird.
Sos bin wieder bösesmädchen lg bisamratte
melde dich
also gut ich gebs auf werde glücklich im fantasierten pilarparadies
Paul ist dabei, aus ihrem Leben zu verschwinden. Obwohl er das nie zugegeben hätte, löst sich ganz allmählich alles, was sie
einmal verbunden hat, in seiner Liebe zu Pilar auf. Pilar hat Paul im Handstreich übernommen, und Paul hat sich nie dagegen
gewehrt, nie um ihre Freundschaft gekämpft, die doch Pilar gar nichts weggenommen hätte, und zurück bleibt Gina. Selbst die
Tatsache, dass Pilar Paul seit Monaten aus ihrem Leben verbannt hat, ihn entschlossen in die Wüste geschickt hat, weil er
sich wie üblich nicht festlegen konnte, hat an seinem Verhalten nichts geändert. Er glaubt, dass ihm sein verspäteter Gehorsam
Punkte bei Pilar einbringen würde, und davon lässt er sich einfach nicht abbringen, schon gar nicht mit dem Argument, dass
dieses abergläubische Spielchen sinnlos ist. Pilar interessiert es doch bestimmt längst nicht mehr, mit wem er sich derzeit
abgibt, und weil ja sowieso letztlich nicht Gina das Problem war, sondern Pilars Erwartungen an eine ernsthafte Beziehung
mit Zukunftsaussichten, die Paul so lange ignorierte, bis ihr der Geduldsfaden gerissen war.
Gina legt das Telefon aufs Fensterbrett und nimmt den Pinsel zur Hand; sie weiß, dass Manuel kommen wird, aber sie weiß nicht,
wann. Er legt sich niemals fest, gibt immer nur ungefähre Zeiten an, als wollte er jedes möglicheMissverständnis im Keim ersticken. Und manchmal hätte sie es ihm am liebsten gesagt.
Schon gut, Manuel, es ist alles in Ordnung, entspann dich, wir haben keine Verabredung, und es gibt keine Ansprüche, die ich
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