Wer stirbt, entscheidest du
Schläfen grau meliert, das Gesicht von vielen Jahren im Außendienst gegerbt. Anzunehmen, dass er von männlichen Kollegen bewundert und von weiblichen im Stillen angehimmelt wurde. Auch von Tessa Leoni? Und wenn ja, hatte er ihre Gefühle womöglich erwidert?
«Eine gute Frau», fuhr er gleichmütig fort. «Jung, aber schon sehr kompetent. Wir hatten nie Probleme mit ihr.»
Hamilton hatte Tessas Personalakte geöffnet vor sich liegen und bestätigte, dass sie in den Nächten auf Samstag und Sonntag im Einsatz gewesen war. Er zeigte Bobby ihre Schichtprotokolle, Details, mit denen D.D. nichts anfangen konnte. Ein Detective führte Buch über offene Fälle, abgeschlossene Fälle, die Vollstreckung richterlicher Beschlüsse, Vernehmungen und so weiter. Ein Trooper notierte vorgenommene Verkehrskontrollen auf den Highways, vollzogene Haftbefehle, die Beschlagnahmung von Eigentum, Einsätze zur Unterstützung anderer Polizeidienststellen und dergleichen. Wie es schien, bestand die Hauptaufgabe eines Troopers darin, entweder Notrufe abzusetzen oder Notrufen zu folgen.
Wie auch immer, Tessa hatte offenbar viel zu tun gehabt. Allein in der Nachtschicht auf Samstag waren ihr zwei alkoholisierte Fahrer ins Netz gegangen, das heißt, sie hatte zwei Fahrer zur Blutkontrolle abführen und veranlassen müssen, dass deren Fahrzeuge abgeschleppt wurden.
Bobby verzog das Gesicht. «Jede Menge Papierkram. Haben Sie die Berichte schon gelesen?», sagte er und tippte auf die beiden Anzeigen wegen Fahrens unter dem Einfluss von Drogen beziehungsweise Alkohol.
«Ja, daran ist nichts zu beanstanden. Der Captain hat sie mir vor zwei Stunden zur Unterschrift reingereicht.»
Bobby warf einen Blick auf D.D. «Sie hat also definitiv in der Nacht auf Samstag keine Gehirnerschütterung gehabt. Ich könnte diese Formulare nicht einmal bei klarem Verstand ausfüllen.»
«Hat sie Samstagnacht persönliche Anrufe entgegengenommen?», fragte D.D. den Lieutenant Colonel.
Hamilton zuckte mit den Achseln. «Möglich. Es hat doch inzwischen jeder sein eigenes Handy bei sich. Private Gespräche entziehen sich natürlich unserer Kontrolle.»
D.D. nickte, überrascht, dass Trooper ihre Handys bei sich tragen durften. In vielen Behörden der Strafverfolgung war das verboten, denn es kam nicht selten vor, dass uniformierte Officer, die an einen Tatort gerufen wurden, mit ihren Handys Fotos machten, vielleicht, weil sie fanden, dass der Typ, der sich in den Kopf geschossen hatte, besonders komisch aussah oder sie Kollegen anderer Dienststellen mit ungewöhnlichen Blutspurmustern beeindrucken wollten. Aber solche Fotos waren aus juristischer Sicht natürlich Beweismittel und durften deshalb nicht in falsche Hände geraten. Taten sie es doch, wäre ein ordentliches Gerichtsverfahren in Frage gestellt.
Der Staatsanwalt ließ deutlich erkennen, wie er zu diesem Thema stand. Das Mitführen privater Handys schmeckte ihm ganz und gar nicht.
«Gab es jemals dienstliche Probleme mit Leoni?», fragte D.D.
Hamilton schüttelte den Kopf.
«Kurzfristige Ausfälle etwa? Sie ist eine junge Mutter, die monatelang allein für ihr Kind sorgen musste.»
Hamilton blätterte durch die Akte und schüttelte wieder den Kopf. «Bewundernswert», kommentierte er. «Es ist nicht einfach, sowohl dem Job als auch der Familie gerecht zu werden.»
«Amen», murmelte Bobby.
D.D. kaute an ihrer Unterlippe. «Wie gut kennen Sie sie?», fragte sie den Lieutenant plötzlich. «Sind Sie sich bei Feiern unter Kollegen, bei einem Umtrunk in der Bar oder dergleichen auch persönlich nähergekommen?»
Hamilton zögerte auffällig. «Ich kenne sie kaum», sagte er schließlich. «Trooper Leoni ist bekannt für ihre zurückgezogene Art. Darauf wird auch in ihrer Beurteilung Bezug genommen. Als Officer ist sie ausgesprochen zuverlässig, sie beweist Fingerspitzengefühl. Aber im kollegialen Umgang zeigt sie sich sehr distanziert, was manche mit Sorge betrachtet haben. Selbst Trooper, die für gewöhnlich allein auf Streife sind, brauchen ein Gefühl von Zusammengehörigkeit, die Versicherung, dass Kollegen zu einem stehen. Trooper Leoni wird von ihren Kollegen geachtet, aber keiner fühlt sich persönlich mit ihr verbunden. Und wer einen Job ausübt, in dem sich die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben häufig überschneiden …»
Hamilton unterbrach sich. Aber auch ohne dass er den Gedanken zu Ende führte, verstand D.D., was er meinte. State Trooper machten keinen gewöhnlichen
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