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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zusammengeknoteten Streifen eines zerschnittenen Unterhemdes mit einem Haken aus einem gebogenen Nagel einen großen Fisch aus dem Wasser, schneller, als die Haie ihm die Beute abjagen konnten. Eine Weile betrachtete er ihn mit leeren Blicken. Plötzlich packte er den Fisch am Schwanz, schlug ihm auf der Bootskante den Kopf ab und verschlang ihn roh. Der Fisch zuckte noch, als er die Zähne hineingrub. Er aß ihn mit Haut und Gräten, nur die Schuppen spuckte er aus. Ein kannibalisches Bild.
    Anne gelang es, Bäcker seinen Trockenfisch an dem kauenden Shirley vorbei hinüberzureichen. Jetzt könnte man ihn überwinden, dachte Bäcker. Ein Tier, das frißt, ist unvorsichtig.
    »Shirley –«, sagte er fragend. »Paul …«
    Shirley hob den Kopf. Auf der Platzwunde an der Stirn hatte sich Schorf gebildet, in dem die Salzkristalle glitzerten. Er muß entsetzliche Schmerzen haben, dachte Bäcker. Aber er sagt keinen Ton. Welch eine unheimliche Kraft liegt im Wahnsinn!
    »Shirley, morgen früh werden Sie vor Durst schreien. Werfen Sie den Fisch weg!«
    »Ihr kriegt mich nicht klein!« keuchte Shirley. Er fraß den zuckenden Fisch, seine Zähne zermalmten laut das Rückgrat und die nackten Gräten. »Ich kämpfe um Betty, das sage ich Ihnen!«
    In der Nacht schlief er, in sich zusammengesunken. Bäcker kroch vorsichtig zu ihm, hob Shirleys Kopf hoch und wusch die Stirnwunde mit Regenwasser sauber.
    Dieses Wasser war verschenkt, bedeutete einen Tag Durst mehr, aber es war ihm unmöglich, Shirley in diesem Zustand liegen zu lassen. Anne half ihm, sie hielt Shirleys Kopf fest.
    Sein Schlaf war mehr eine Ohnmacht – er rührte sich nicht, obgleich das Auswaschen der Wunde sehr schmerzhaft sein mußte.
    »Ich habe Angst vor dem Morgen«, sagte Anne später. Über Shirley hinweg hielten sie sich an den Händen, eine traurige, aber alle Liebe dieser Welt beschwörende Zärtlichkeit. »Sag die Wahrheit, Liebling: Werden wir auf dem Meer sterben?«
    »Ich weiß es nicht.« Bäcker küßte die Finger. Seine vernarbten Lippen waren rauh und hart. »Ich warte, daß ein Wunder geschieht.«
    Am nächsten Morgen wurden sie von einem Aufschrei geweckt. Shirley stand am Mast, die Beine gespreizt auf den Bordwänden, das schlaffe Segel schlug träge gegen seinen blutverkrusteten Bart. Die Sonne war gerade wie eine riesige Apfelsine aus dem Meer getaucht. Der Himmel wuchs in roten Streifen zusammen. »Land!« brüllte Shirley. »Land! Viel Land!«
    Seine Stimme überschlug sich. Er winkte mit dem freien Arm hoch über seinem Kopf, und in diesem Augenblick sah er aus wie eine Figur aus einem Piratenbuch.
    Bäcker hatte der laute Schrei elektrisiert. Er sprang auf, hielt sich unterhalb Shirleys Hand am Mast fest und starrte in die Unendlichkeit des rotglänzenden Meeres, wo Shirley Land entdeckt haben wollte. Aber er sah nichts als die träge Dünung und das Farbenspiel eines in Morgenlicht getauchten Horizontes.
    »Da ist es!« schrie Shirley wieder. »Tahiti! Die Bucht von Papeete! Betty! Ich bin da, Betty!« Er stierte Bäcker an, ein lebloser Blick, ein Loch, das ins Leere führt. »Sehen Sie Betty auch, Sie Schuft? Meine Frau! Meine Kinder! Das ist eine Familie, was?«
    Bäcker nickte. Er hatte das Gefühl, als spreizten sich seine Nackenhaare. »Paul –«, sagte er sanft. Er legte dabei seine Hand über Shirleys Finger, die sich um den Mast krallten. »Paul, Sie haben eine wunderschöne Frau. Gratuliere. Sie können stolz sein.«
    »Sind Sie denn blind?« schrie Shirley schrill. »Mann, legen Sie an! Sie segeln ja an der Landungsbrücke vorbei. Wo haben Sie ihr Schifferpatent gemacht? Anhalten, Sie Rindvieh! Halt!«
    Shirley hob den rechten Fuß. Bäcker griff mit beiden Händen zu, aber seine Finger glitten an Shirleys glatter, von Salzwasser übersprühter Haut ab.
    »Shirley!« brüllte er. »Zurück! Vorsicht! Die Haie!«
    Mit einer Kraft, die ungeheuerlich war, schlug Shirley mit der Faust auf Bäckers Unterarm. Es war ein Schlag, der Bäcker völlig lähmte, der eine Dumpfheit vom Arm durch den ganzen Körper trieb. Er starrte auf Anne. Sie hatte die Hände vor das Gesicht gepreßt, ließ jetzt eine Hand fallen, zog die Decke über ihren Kopf und schrumpfte zusammen.
    »Betty –«, sagte Shirley zärtlich. Sein Blick schweifte über Bäcker hinweg in die Ferne. Es war so viel Glück in seinem Gesicht, ein Leuchten so voller Zärtlichkeit, daß Bäcker den Kopf senkte und die Hand über seine Augen legte.
    Er hörte, wie Shirley

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