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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ist Flut … Wir treiben darauf zu … Anne, Anne … Land –«
    Sie lagen bäuchlings im Boot, hatten die Köpfe auf den Bordrand gelegt und blickten hinüber zu dem gelben Streifen und den grünen, im Wind schwankenden Wellen der Baumkronen.
    »Ein Strand –«, flüsterte Anne.
    »Und ein Wald –«
    »Korallenriffe –«
    »Felsen –«
    »Land –«
    »Wirklich Land, Anne …«
    Sie küßten sich, lagen sich in den Armen, weinten und lachten und überließen es der Flut, sie ins Leben zurückzubringen. Sie selbst hatten keine Kraft mehr dazu; den winzigen Rest sparten sie auf, um später auf das Land zu fallen.
    Der Strand kam näher. Ein Land, flach, zur Mitte sich aufwölbend wie ein Schildkrötenpanzer. Feiner gelber Sand, Korallenstaub, auf den Felsen Tausende von Vögeln.
    Eine Böschung – darüber begann der Wald. Am Hang drei hohe, schlanke Palmen. Filigran gegen den blauen Himmel. Und an der Böschung eine Hütte aus Bambus und rohen Brettern, mit Palmblättern gedeckt. Daneben, zwischen vier hohen Pflöcken aufgespannt, ein gelbleuchtendes Etwas.
    »Die Hütte –«, sagte Anne mit winzig kleiner Stimme. Sie weinte plötzlich.
    »Die Gummiinsel –« Bäcker atmete röchelnd.
    »Unser Wald –«
    »Wir sind zurückgekehrt.« Bäcker zog sich am Mast hoch. Es war eine Anstrengung, die seine sämtlichen Muskeln zu zerstören schien. Aber dann stand er hochaufgerichtet da und sah seiner Insel entgegen. So schnell fällt man keinen Mann, dachte er. Auch ihr nicht – Sonne, Meer und Wind.
    »Anne – wir sind endlich zu Hause!« sagte er. Es klang wie ein Amen.
    Er wußte nicht, woher er noch die Kraft nahm – aber als er den sandigen Grund unter sich knirschen hörte, sprang er aus dem Boot und trug Anne auf seinen Armen an Land.
    Sie schliefen einen Tag, eine Nacht und wieder einen Tag, denn als Anne aufwachte, stand die Sonne weit im Westen, und das Meer wurde wieder, violett.
    Bäcker hatte das Boot noch aus der Flut gezogen, bevor er buchstäblich auf allen vieren zur Hütte gekrochen war. Nun lag der Einbaum im Sand, so wie damals, bevor man ihn unter Jubel ins Meer gelassen hatte. Ein langer, ausgehöhlter Stamm mit einem krüppeligen Mast, an dem noch ein paar Reste des vom Sturm zerfetzten Palmensegels hingen.
    Lange stand Anne vor der Hütte, blickte in die purpurfarbige Sonne, über die trägen Wellen des Pazifiks und das Boot, das sie in einem weiten Bogen zurückgetragen hatte, aus der Einsamkeit in die Einsamkeit.
    Die Angst, die stille, verborgene Angst, die sie bisher auf der Fahrt begleitet hatte, fiel von ihr ab. Es war nicht die Angst vor dem unberechenbaren Meer gewesen, vor Haien, Durst, dem Wahnsinn in der gnadenlosen Sonne, einem Wegtrocknen mitten auf dem Meer – es war die Angst vor dem Leben gewesen, in das Bäcker und Shirley unbedingt zurückkehren wollten. Es war die Angst vor den Menschen gewesen, die zu ihr sagen würden: »Du bist eine Mörderin. Du hast Yul, deinem Mann, mit einem Malaiendolch den Hals durchgeschnitten. Beweise erst, daß du es nicht warst.«
    Und sie würde wieder dastehen wie damals in Nuku Hiva vor Shirley und nichts anderes sagen können als: »Ich bin es nicht gewesen. Glaubt mir doch.« – Aber keiner war bereit, es zu glauben.
    Bäcker schlief noch. Er lag auf dem Rücken, die lidlosen Augen starrten gegen das Blätterdach der Hütte – ein schrecklicher Anblick, solch ein Mensch, der mit offenen Augen schläft. Anne riß einen Fetzen aus ihrer Bluse und deckte ihn über sein Gesicht. Den Lappen aus Shirleys grobmaschigem Unterhemd hatte Bäcker beim letzten Sturm verloren. Der Wind hatte ihm den Gitterstoff von den Augen gerissen und ihn mitgenommen in die Weite des kochenden Meeres.
    Die aufgespannte Rettungsinsel war vom letzten Regen nur überm Boden mit Wasser bedeckt worden. Vogelkot und Flugsamen schwammen darin herum – es war so nicht genießbar. Man mußte es durch ein Tuch seien und abkochen. Drei, vier Liter Wasser sind es, schätzte Anne. Mehr nicht. Damit beginnen wir nun unser drittes Leben. Und ein viertes ist schon herangewachsen in meinem Leib. Es drängt nach unten, das Gehen ist eine merkwürdige Sache geworden. Wir werden nicht mehr lange warten müssen, bis es kommt. Und es wird zu früh kommen. Plötzlich werden die Wehen einsetzen, und erst dann, wenn diese Winzigkeit von Mensch zu schreien anfängt, wird diese Insel wirklich eine Heimat sein.
    Sie blickte zurück in die Hütte – Bäcker hatte sich nicht gerührt. Er

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