Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
atmete langgezogen tief, kräftig und gesund.
»Wir werden auf dieser Insel bleiben, mein Liebling«, sagte Anne leise. »Hast du Sehnsucht nach den Menschen? Ich nicht. Du, ich und das Kind, das ist genug, um glücklich zu sein.«
Sie nahm Shirleys Bambusspeer, der noch im Inneren der Hütte neben der Tür lehnte, und stieg die Böschung hinauf in den Wald. Von den niedrigen Palmen warf sie wieder einige Kokosnüsse ab, sammelte eßbare Wurzeln und Bambussprößlinge und ging dann ohne Scheu zu dem Begräbnisplatz mit dem scheußlichen Totemgötzen.
Vier neue Tote lagen im Kreis der Gerippe. Ein widerlich süßlicher Gestank schwebte über dem Platz. Jetzt, im Sommer der Südsee, verwesten die Körper schneller, als die Vögel sie zerhacken und auffressen konnten.
»Ich habe keine Angst vor euch«, sagte Anne und stützte sich auf den Speer. »Ich habe nur Angst vor den Lebenden.«
Dann ging sie herum, pflückte ein paar betäubend duftende Blumen, warf sie zwischen die Toten und kehrte an den Klippen vorbei zur Hütte zurück. Auf diesem Wege suchte sie noch die Austernbänke ab und hatte das letzte Stück schwer an dem aufgesammelten Essen zu tragen.
Bäcker erwachte endlich, nachdem Anne ihn geküßt hatte. Zunächst lag er still, unbeweglich unter Annes Blusenfetzen über seinen Augen und hielt ihre Hand fest, die ihn wachgestreichelt hatte.
»Leben wir wirklich?« fragte er stockend.
»Ja, Liebling, wir leben.«
»Auf unserer Insel?«
»Es ist der herrlichste Fleck auf Erden.«
»Es war alles umsonst …«
»Was Menschen tun konnten, haben wir getan. Aber das Meer war stärker, und der Wind war stärker … Das sollten wir einsehen und den Wahn aufgeben, stärker sein zu wollen als sie.«
»Und das Kind, Anne?«
»Es wird das glücklichste Kind auf der Erde sein. Es wird keinen Krieg kennenlernen, keinen Haß, keinen Neid, keine Jagd nach dem Geld, keinen Diebstahl, keinen Totschlag, es wird nie unter ein Auto kommen können, aus einem Fenster fallen, sich mit Gas vergiften oder einen elektrischen Schlag bekommen. Es wird nur das Meer kennen, die Sonne, den Regen, die Vögel, die Fische, die Bäume und Blumen, den Sand und die Klippen … Ist das nicht wundervoll?« Sie küßte ihn wieder, nahm den Stoffetzen von seinen Augen und lächelte ihn an. »Draußen steht das Abendessen, Liebling. Frische Austern mit gekochtem Yam, Wildente, in Kokosmilch gedünstet …«
»Anne!« Er umarmte sie, zog sie zu sich herunter, und dann weinte er, lautlos, mit zusammengebissenen Zähnen.
»Ich habe versagt«, seufzte er später, nachdem sie gegessen hatten. Sie saßen in der hellen Nacht um das Feuer, und es mußte jetzt wieder wie in den Monaten zuvor erhalten bleiben, denn Bäcker besaß nur noch neunzehn Streichhölzer. Neunzehn Streichhölzer, die ein ganzes Leben reichen mußten. Aus Steinen Funken zu schlagen, hatte er noch nicht versucht, aber er ahnte, daß ihm das nie gelingen würde.
»Ich gebe nicht auf!« sagte er. »Ich kann es nicht ertragen, versagt zu haben. Wir müssen von dieser Insel wegkommen!«
»Wir werden immer wieder zu ihr zurückkehren. Ich weiß das. Gib es auf, Liebling.«
»Nein.«
»Willst du es versuchen, wenn das Kind da ist? Mit dem Kind in einem Einbaum übers Meer? Mit meinem Kind? Ich weigere mich.«
»Nicht mit dem Einbaum. Ich werde den Eingeborenen auflauern, die hier ihre Toten ablegen. Sie müssen uns mitnehmen.«
»Das werden sie nie. Wir wollten flüchten, aber die Götter haben uns zurückgeholt. Für sie sind wir Verfluchte – sie werden uns nie berühren! Gewöhne dich daran, Liebling: Wir sind selbst zu Totengeistern geworden.«
»Aber das Kind! Das Kind!« Bäcker legte beide Hände über seine Augen und warf sich zurück in den Sand. »Die Geburt. Ich habe Angst, Anne, schreckliche Angst. Dreimal habe ich das mitgemacht, und es wurde immer fürchterlicher für mich. Dabei lag Vicky jedesmal in einer Klinik, die besten Ärzte waren um sie, es konnte gar nichts passieren – aber ich war immer verrückt vor Angst. Und jetzt du! Ein Kind, das auf dreckigen Decken, im Sand und im Korallenstaub zur Welt kommt! Noch dreimal gegen das Meer kämpfen, das traue ich mir zu … aber das nicht!«
»Zum Kämpfen haben wir gar keine Zeit mehr«, sagte Anne. »Ich werde das Kind bekommen wie alle Frauen auf diesen Inseln. Bin ich anders als diese Frauen?« Sie legte sich neben Bäcker, ihr Leib wölbte sich zu den Sternen. Sie faltete die Hände über das
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