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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sich vom Boot abstieß, als spränge er an Land. Der Einbaum schaukelte gefährlich, aber er rollte nicht herum. Das aufspritzende Wasser traf Bäcker wie eine Fontäne, und dann wartete er, starr vor Grauen, auf den Schrei, auf diesen fürchterlichen Schrei, den Shirley ausstoßen würde, wenn die Haie ihn zerrissen.
    Aber Shirley schrie nicht. Vielleicht hatte sein Herz schon versagt, als er im Meer untertauchte … nur das Meer brodelte, und ein roter Fleck schwamm fettig auf dem Wasser. Als Bäcker nach einer ganzen Zeit zurückblickte, waren die dreieckigen Rückenflossen rund um das Boot verschwunden.
    »Anne –«, sagte er mit einer gepreßten, brüchigen Stimme.
    Sie rührte sich nicht unter der Decke, aber er sah deutlich ihr Zittern.
    »Es ist vorbei, Anne. Du mußt jetzt zur Mitte kommen und das Segel bedienen.«
    Der Deckenhaufen bewegte sich. Anne kroch hervor, rutschte auf den Knien bis zum Mast und setzte sich auf Shirleys Platz. Sie mußte sich schräg setzen, ihr hoher Leib war im Weg.
    »Ich habe mich so auf das Kind gefreut«, sagte sie leise. »Mein Gott … o mein Gott …«
    Bäcker verstand sie. Auch für sie gab es kein Entrinnen mehr.

XX
    Sonne, Meer und Himmel – das war alles, was sie sahen. Ein träger Wind kam auf, mehr ein Windhauch, aber für sie ein dreimal gesegneter Wind. Der Einbaum trieb irgendwohin. Es hatte jetzt seit drei Wochen nicht mehr geregnet, sie maßen das wenige Wasser, das sie noch hatten, genau ab, zählten fast die Tropfen, und schließlich war es so weit, daß sie kaum noch genug Speichel hatten, das Trockenfleisch im Mund quellen zu lassen.
    Bis zuletzt hatte Anne drei Kokosnüsse versteckt – sie zerteilte von diesem eisernen Vorrat eine, als Bäckers Zunge zu schwellen begann und wie ein bläulicher Klotz in der Mundhöhle lag. Er bettelte nicht um Wasser, aber als er die Kokosmilch trank, kühl, süß, ein paradiesisches Gesöff, als er in das weiße Fruchtfleisch biß, verstand er die kannibalische Wonne, die Shirley an seinem letzten Tag beim Zerreißen des Fisches genossen hatte.
    Sie ließen das Segel nun immer aufgespannt, aber sie paddelten nicht mehr. Die große Gleichgültigkeit, die über ihnen lag, der völlige Tod ihrer Angst, hatte etwas Gnadenreiches in sich. Ihre Herzen waren in Ohnmacht gefallen. Sie trieben in die Unendlichkeit hinein, aßen kaum und tranken noch weniger und wurden so schwach, daß jedes Wort wie eine Zentnerlast war. Sie lagen verkrümmt im Boot, bereit, zu sterben und zu verdorren.
    Nach sechsundzwanzig Tagen hatten sie noch einen Liter Wasser und eine Kokosnuß. »Wir werden es strecken«, sagte Bäcker. »Eine Woche kann es reichen.«
    Er füllte für Anne etwas Wasser in den Blechbecher, ritzte mit dem Messer in seinen Unterarm und ließ Blut dazulaufen. Dann verrührte er es mit dem Wasser und gab Anne den Becher. Sie sah ihn groß an und trank das Blut-Wasser-Gemisch in langsamen, kleinen Zügen.
    »Du wirst nicht verdursten«, sagte er und band einen Lappen um seinen Arm. »Ein Mensch hat fünf Liter Blut. Himmel, ist das eine Menge! Solange ich Blut habe, wirst du leben, Anne …«
    Nach neunundzwanzig Tagen wurde der Himmel zum erstenmal dunkel. Aber es regnete nicht, obgleich Bäcker die Hände faltete und mit Gott sprach. Er war so schwach geworden, daß er nicht mehr sitzen konnte, und Anne lag neben dem Mast, hielt das Tau, an dem das Segel hing, und weinte. Ein starker Wind kam auf, und das Meer erwachte zum erstenmal nach wochenlanger bleierner Ruhe und hob und senkte sich wie mit einem tiefen Atemzug. Der Einbaum trieb auf den langen Wellen wie ein großes Stück Holz.
    Nach einer Stunde mußten Anne und Bäcker das hineingeschlagene Wasser aus dem Boot schöpfen, nach drei Stunden kämpften sie gegen das Meer, in der vierten Stunde flog das Segel davon, und sie lagen Kopf an Kopf am Mast, umklammerten ihn mit beiden Händen und warteten auf die letzte alles mit sich hinabreißende Woge.
    Aber sie überlebten auch diesen Sturm. Sie lebten auch noch in der Nacht, als das Meer sich beruhigte. Und sie erwachten aus dem Schlaf, als die Morgensonne aufging und das Wasser wieder wie ein silberner Spiegel war.
    Bäcker hob den Kopf über den Rand des Einbaums, und was er sah, war so unwahrscheinlich, daß ihm die Stimme versagte. Es kostete ihn seine ganze Kraft, Annes Kopf zu umfassen und sie zu küssen. Er riß sie aus einem totenähnlichen Schlaf.
    »Land …«, stammelte er. »Land … Vor uns ist Land … Es

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