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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hatte. Die Lanze war da, um jederzeit zuzustechen, er trug sie mit sich herum, sie war in ihm angewachsen.
    »Nummer fünf!« sagte Bäcker nüchtern. »Natur, du wirst mir unheimlich mit deiner Gründlichkeit.«
    Er überlegte eine lange Zeit, wie man das spitze Knochenende entschärfen konnte, aber er fand nichts, was gut dazu wäre. Drei Meter neben ihm im Sand saß der große Albatros, majestätisch schön mit seinem im Wind geblähten Gefieder und den klugen runden Augen. Langsam war er näher gekommen, Zentimeter um Zentimeter, und Bäcker lag ruhig, beobachtete ihn und war gerührt, wie der Vogel sich seine Freundschaft erschlich. Jetzt stand er mit dem Kopf zur Windrichtung, riß ab und zu den Schnabel auf und stieß einen gurrenden Laut von sich.
    »Das Leben kann auch im Bein liegen, das hast du auch noch nicht gewußt, was, mein Vogel? Solche Weisheiten lernt man, wenn man sie am wenigsten gebrauchen kann. Da hat man seine Beine fünfunddreißig Jahre lang am Körper, und außer daß man sie wäscht und die Nägel schneidet, beachtet man sie nicht und nimmt hin, daß sie ihre Pflicht tun und gehen und rennen und springen und schwimmen und tanzen und wer weiß, was sonst noch ertragen müssen. Und dann gibt es hinterhältige Beine, die sich einmal bei bester Gelegenheit rächen. Mein Bein ist so eines. Was soll ich tun, Vogel? Es ist ein verdammtes Spiel mit dieser Lanze in meinem Schenkel. Wenn ich ein Stück Holz hätte, ein kleines, schmales Brett, ein paar Bambusstangen … ha, ich würde dieses Bein besiegen! Siehst du, Albatros … jetzt ein Stück Holz zu haben, das ist ein Wunder.«
    Er wagte nicht mehr, sich zu rühren, nachdem er die Knochenspitze so nahe an seiner Arterie gefühlt hatte, aß etwas Schiffszwieback aus einer Vakuumdose, wo er sich jahrelang frisch hielt, trank zwei Schlucke Mineralwasser aus dem Plastikbeutel, untersuchte den Wasserkanister und rechnete aus, daß diese zehn Liter immerhin eine ganz vernünftige Galgenfrist waren, in der ein Mann Ideen haben konnte, wie er sich selbst hilft, legte beide Hände auf den anschwellenden Schenkel und faltete sie wieder, denn der hatte vor, wieder mit Gott zu reden.
    Da er aber nur Klagen hervorzubringen hatte, schwieg er lieber, starrte über das tintenblaue Meer und dachte an Viktoria und die Kinder. Er weinte eine Weile, ergriffen von diesen Gedanken, und wunderte sich gleichzeitig, woher ein austrocknender Körper die Flüssigkeit nimmt, um Tränen zu produzieren.
    Nach einer halben Stunde hüpfte der Albatros um ihn herum, zog immer nähere Kreise und blieb dann so nahe vor ihm stehen, daß Bäcker ihn hätte mühelos greifen können. Er spreizte die Flügel und gurrte dunkel. Vielleicht fragte er – man weiß nicht, ob ein Vogel fragen kann.
    »Du hast noch nie einen Menschen gesehen, stimmt es?« fragte Bäcker leise, um den Albatros nicht durch seine Stimme zu erschrecken. Es kann sein, dachte er, daß eine menschliche Stimme für ein Tier scheußlich klingt. Unser Geruch ist es, aber ich weiß nicht, ob ein Albatros riechen kann, auf jeden Fall kann er hören.
    »Das ist nun ein Mensch, Vogel!« sagte er weiter. »Es lohnt sich, ihn zu betrachten. Er hält sich für das Größte und Klügste auf dieser Welt, er baut diese Welt auf und vernichtet sie wieder, und keiner kann sagen, warum er soviel Sinnloses tut und auch noch stolz darauf ist und Orden und Preise dafür bekommt. Es muß nicht viel her sein mit seiner Größe und Klugheit, Vogel – er ist einfach zu dumm, sich selbst zu begreifen. Und dann liegt er eines Tages da wie ich, den Tod im Bein oder im Herzen, oder im Hirn, oder im Magen, oder in den Gedärmen – es bleibt sich gleich, Vogel –, und weiß nicht einmal, wie er urinieren soll, ohne sich selbst vollzupissen. Bei mir ist es jetzt soweit, Albatros, und das ist ein großes, neues Problem –«
    Er umklammerte wieder sein Bein, wälzte sich auf die Seite, knöpfte seine Hose auf und hielt den Blechdeckel des Verbandskastens, nachdem er ihn abgebrochen hatte, unter sich. In den blechernen Deckel schlug er sein Wasser ab und schwabbte dann den Urin so weit von sich weg, wie seine Kraft reichte.
    Es war nicht sehr weit, der Urin wurde von dem pulverfeinen Sand sofort aufgesogen, aber das war trügerisch, und Bäcker dachte: Wenn ich hier auf einem Fleck drei oder vier oder fünf Wochen liege, werde ich mich mit Fäkalien ummauert haben. Eine Festung aus Scheiße. Ein Wall aus verdampfendem Urin. Himmel, wo hat es

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