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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Wellen hinterließ, wo Muschelschalen und leere Krebsgehäuse lagen, manchmal ein paar stinkende tote Fische, die aber schnell zu Leder austrockneten, Reste von abgerissenen Palmblättern, Bambuslaub und weggewehten Blütenblättern.
    Bevor Bäcker diese kleinen Strecken abkroch, hatte er lange darüber nachgedacht, wie sich ein Mensch mit einem nutzlosen Bein, das man außerdem noch schonen mußte, fortbewegen könne, ohne Stütze, ohne Krücken, allein auf einem Sandstrand, wo nicht einmal ein Pfahl war, an dem man sich auf sein gesundes Bein aufrichten konnte.
    Ein Zufall brachte ihn darauf, seine Schwimmweste zu benutzen.
    Der Gedanke war ihm plötzlich gekommen, als er die gummierte Nylonweste, mit dem Mund mühsam aufgeblasen, als Unterlage für seinen mit dem nassen Sand verbundenen Schenkel benutzte. War der Verband hart, schob er die Weste weg … sie glitt über den weißen Sand wie ein Ski über den Schnee.
    »Das ist es!« sagte er zu dem Albatros, der neben ihm stand und mit dem Schnabel klapperte. »Man könnte aus ihr einen Schlitten machen. Was hältst du davon, Vogel?«
    Er sprach jetzt in jeder Situation mit dem Albatros. Der Vogel war ein guter Partner, er hörte zu, widersprach nicht, war klug, lobte alles, was Bäcker tat, durch Flügelschlagen oder durch gurrende Laute, und außerdem war er das Leben schlechthin, etwas, was man ansprechen konnte und nicht so stolz war wie die Sonne, das Meer, der Himmel und der Wind.
    An dem Vogel schliff Bäcker seine Panik ab, für immer allein zu sein und allein zu bleiben. Ein Mann braucht einen Freund, ein Mensch etwas anderes Lebendes … völlig allein zu sein ist mehr als die Hölle.
    Für Bäcker war der große Vogel da, ein stiller Freund, und es war ein Rätsel, was Vogel und Mensch so eng miteinander verkettete, daß jeder den anderen nicht mehr aus den Augen ließ. Flog der Albatros morgens und abends übers Meer und suchte seine Nahrung, wartete Bäcker ungeduldig, bis er das majestätische Flügelrauschen wieder hörte, und der Albatros hüpfte nervös um Bäcker herum, wenn dieser unter seiner Decke lag und schlief zu einer Zeit, wo man eigentlich etwas tun mußte.
    So wurde mit den Wochen Bäckers Einsamkeit wie ein runder Kiesel, der keine Wunden mehr aufreißen konnte, sondern mit dem man zu spielen begann. An die Flaschenpost dachte er nicht mehr. Sie war zwar mit der Ebbe im Meer verschwunden, aber wer die Maßlosigkeit des Pazifiks mit der Armseligkeit einer Mineralwasserflasche verglich, hörte auf, an Hoffnungen zu glauben.
    Mit seiner Schwimmweste aber hatte Bäcker eine gute Idee gehabt.
    Er wälzte sich ganz langsam über das nur halb gefüllte Luftpolster, legte sich auf die Seite, nahm die Zange und den Zollstock aus dem Werkzeugkasten und stakte sich mit ihnen durch den Sand. Es war mühsam, schweißtreibend, ein verbissener Kampf um Zentimeter, aber es war eine Flucht von der Stelle, eine Loslösung vom Endgültigen.
    »Es geht, Vogel!« keuchte Bäcker, nachdem er ein paar Meter sich mit Zange und Zollstock vorwärts gestoßen hatte. Der Albatros lief neben ihm her und schrie leise und klagend. »Ich bewege mich! Damit fing alles an – mit einem Gedanken und einer Bewegung.«
    Er glitt auf seiner Schwimmweste bis zu der Stelle, wo er an Land geworfen worden war und blieb hier liegen, den Kopf zum Meer, das leise herankam, wie schleichend, voller Untertänigkeit, wie um ihn zu streicheln.
    »Geh weg!« sagte er voll Haß. »Geh bloß weg! Ich kenne dich! Du bist eine tödliche Geliebte.«
    Nach diesem Ausflug zu seinem Feind wurde Bäcker mutiger. Er rutschte auf seinem ›Jeep‹, wie er seine Schwimmweste jetzt nannte, am Strand herum, in immer größeren Kreisen, und er erreichte sogar den Fuß der Böschung und lag hier zum erstenmal im Schatten von Bäumen. Über ihm standen drei Kokospalmen, riesengroß aus dieser Wurmperspektive, schlank und hochmütig. Ein Fächer aus Zweigen, der sich einschläfernd rauschend bewegte, und unter ihm das gefilterte, streifige Licht und ein bläulicher, kühlerer Fleck Erde.
    Bäcker legte sich in diesen Schatten und fühlte wieder ein Stück seines Menschseins zurückkommen. So geht es jetzt weiter, dachte er, Stück um Stück baue ich mich auf. Ich erschaffe mich neu, auch wenn's die alten Steine sind. Es ist noch gar nicht so lange her, wo man aus Ruinen und Trümmern ganze Städte baute. Ich war zertrümmert wie sie … aber ich werde jetzt Stein auf Stein aufeinandersetzen, bis der

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