Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
war Gott in der Nähe.
Werner Bäcker erwachte aus dem Delirium seines Fiebers an einem Morgen, als die Sonne aus dem Meer tauchte wie eine gewaltige Apfelsine. Es war kühl, ein harter Wind blies durch die Palmen, bog die Wedel des Bambus und trieb den Ufersand in kleinen, wirbelnden Streifen landeinwärts gegen die Böschung. Das Meer zitterte … er spürte es fast körperlich bis in seinen letzten Nerv.
Plötzlich stieg etwas Seltsames aus dem Wasser, eine graue Wand, der Wind begann zu rauschen, aber es war gar nicht der Wind, wie Bäcker ratlos sah, sondern der Himmel rauschte, alles roch nach Feuchtigkeit, nach herrlicher, glatter, kühler lebensspendender Feuchtigkeit. Und dann brach der Himmel auf und tränkte die Erde.
»Regen –«, stammelte Bäcker. »Regen! Es regnet … es regnet …«
Dann brüllte er vor Freude, riß die Decken von sich, streckte sich aus, breitete die Arme von sich, lag wie gekreuzigt unter den rauschenden Tropfen und lachte, lachte, lachte.
»Ich lebe!« schrie er in den Regen hinauf. »Ich lebe! Du verfluchter schiefer Knochen in meinem Bein … ich lebe!«
Das Wasser rann ihm in Bächen über Gesicht und Leib, er riß den Mund weit auf und ließ den Regen in sich hineinströmen, er trank dieses neue Leben, und je stärker das Wasser über ihn stürzte und die Tropfen seinen wunden Körper schlugen, um so betrunkener wurde er von diesem himmlischen Wasser. Es floß und floß über ihn und in ihm, und es war das köstlichste Fließen, das er je gespürt hatte.
Herrliche Kühle und eine neue, verbissene und unbeugsame Kraft wuchsen aus diesem Regen. Die Reste des Fiebers schwemmte er aus Bäcker fort, er schien durch und durch gereinigt zu werden, durchgespült mit einer ständig sich immer mehr aufladenden Energie.
Als der Himmel wieder blau war und die Sonne wieder eine Sonne, saß er im nassen Sand und sagte aus tiefstem Herzen: »Ich danke dir, du da oben.«
Dann begann er, gegen seinen Knochen zu arbeiten. Er griff in den nassen Sand, gipste sein gebrochenes Bein rundherum mit dieser pappigen Erde ein, wickelte ein Handtuch darum und winkte der nun wieder glühenden Sonne zu.
»Nun mach es hart wie ein Lehmziegel, Sonne«, rief er. »Zeig es dem Teufelsknochen! Schweiß ihn zusammen! Du, der Regen, der Sand und ich … wir kriegen ihn klein!«
Er aß aus einer Büchse, die er mit dem Beil aufschlug, kalte Nudeln mit Gulasch, und es schmeckte ihm so gut wie nichts bisher in seinem früheren Leben. Er trank dazu das Regenwasser, das sich in der Mitte der Gummiinsel gesammelt hatte, und das brachte ihn auf einen neuen Gedanken.
Ich werde nicht verdursten, solange er, solange es regnet. Das gute Wasser spare ich auf für eine Notzeit, wenn es überhaupt nichts mehr zu trinken gibt. Aber wenn es jetzt regnet, lege ich mir ein Wasserreservoir an, einen kleinen, eigenen Wasserturm aus orangenfarbenem Gummi. Es ist zwar eine fade Brühe, dieses Regenwasser, aber es ist das Herrlichste, was Gott je erfunden hat.
»Kompliment, Gott da oben«, sagte er und blickte in den wieder blaustrahlenden, wolkenlosen Himmel. »Du hast Überzeugungskraft. Vielleicht geht es wirklich nicht ohne dich!«
Von diesem Tage an regnete es immer. Meistens am Abend, aber immer früh genug, daß die Sonne vor dem Untergehen noch den Strand und den kleinen Menschen im Sand trocknen konnte. Es war ein wundervoller Rhythmus, aus dem Kraft strömte und eine unbändige Hoffnung.
So lag Bäcker herum im köstlichen Regen und in der heilenden Sonne. Jedesmal nach dem Regen umwickelte er sein Bein mit frischem, nassem Sand. Das kühlte den Bruch und das heiße, aufgetriebene, entzündete Fleisch, wurde später hart wie ein Panzer und zerfiel am Morgen wieder zu Staub. Aber dann kam ein neuer Regen und mit ihm ein neuer Verband, und Bäcker sagte am vierzehnten Tag:
»Du hast keine Chancen mehr, Knochen. Gib es auf! Wachse zusammen! Vielleicht werde ich zeit meines Lebens hinken und auf der linken Seite kürzer sein, was schadet das? Mich bringst du jedenfalls nicht mehr um, Knochen!«
In der vierten Woche konnte er herumkriechen wie eine Robbe. Er spürte keine Schmerzen mehr, wenn er das Bein hinter sich herzog durch den staubenden Sand, und er weinte und lachte vor Glück.
Schweigsam, immer zwischen ihm und der Sonne, begleitete ihn der große, schöne Vogel.
IV
Die ersten Ausflüge brachten ihn hinunter zum verhaßten Meer, den Strand entlang, in dessen Sand die Ebbe ein Muster aus zierlichen
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