Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
legte er sie auf die Decke, strich die Haare von ihrem Gesicht und bewunderte wieder die Feingliedrigkeit ihres Körpers.
Verrückt, dachte er. Kaum ist eine Frau da, verändern sich alle Gedanken. Wir müssen jetzt lernen, auf Viktoria-Eiland zu dritt zu überleben. Es wird nicht einfach sein. Das bedeutet dreifaches Wasser, dreifaches Essen, dreifaches Wohnen und dreifach die Chance, sich von der Verzweiflung anstecken zu lassen. Eine Frau wird nie die Nerven haben, Einsamkeit zu ertragen.
Er trocknete ihr schmales Gesicht, kämmte mit seinen gespreizten Fingern die nassen Haare nach hinten, betrachtete wieder ihren Körper und rang erneut gegen den Gedanken, daß er einen weiblichen Körper vermißt hatte, aber es bisher nie wissen wollte.
Er riß sich von dem Anblick los, hinkte zurück zu der Buschgruppe am Strand und überlegte, was er mit dem Mann machen sollte. Er würde ihn nie tragen können, und ihn an der Schwimmweste durch den Sand zu ziehen war eine viehische Anstrengung, die ihn selbst umwerfen mußte.
»Machen wir es so, Vogel –«, sagte er zu dem Albatros, der aufgeregt hin und her lief und mit dem Schnabel klapperte. »Er ist ein Mann und muß die Zähne zusammenbeißen können.«
Er brach einige große Farne ab, steckte sie in den Boden und schuf damit ein bißchen Schatten, in den er den Mann hineinzog. Er legte noch ein großes Palmblatt über das mit Salz überkrustete Gesicht und lief dann zurück zur Hütte.
Mehr konnte Bäcker nicht tun. Er hatte für ihr Leben und für Schatten gesorgt. Dem, was jetzt folgte, stand er mißtrauisch gegenüber.
»Sie werden Hunger haben, wenn sie aufwachen«, sagte er zu dem Vogel. »Und einen Mordsdurst. Der letzte Regen war gut, wir haben genug Wasser für uns alle.«
Er briet vier Fische an einem Stecken über dem Feuer, kühlte einen Beutel mit Wasser, indem er ihn an einem Strick, befestigt an einem dicken Ast, hin und her pendeln ließ, ein guter Trick, denn der Luftzug, den die Schwingungen erzeugten, wirkte wie eine Kühlung.
Dann wartete er. Sah die Frau, lauschte zum Strand hin, ob er den Schritt des Mannes hörte, tippte an die Stirn, als der Albatros wie ein Kind zu jammern begann.
»Stell dich nicht so an«, sagte er leise. »Wir bleiben Freunde. Ob diese Menschen unsere Freunde werden, ist noch gar nicht sicher …«
Die Frau war die erste, die erwachte.
Sie blieb liegen, hob nicht einmal den Kopf, nur ihre großen dunklen Augen bekamen Leben und sahen Bäcker an. Er merkte das erst, als er den vierten Bratfisch vom Stecken nahm und auf die Holzplatte legte, die er als Teller benutzte.
»Wer sind Sie?« fragte sie.
Sie hatte eine dunkle, warme Stimme, die gar nicht zu ihr paßte. Sie hätte kindlich klingen müssen, so zart wie ihr Körper war, so feingliedrig wie Hände, Füße, Brüste – wie ihr Körper unter dem nur langsam trocknenden, wie eine zweite Haut anliegenden geblümten Kleid. Sie sprach englisch, aber sie war keine Engländerin. – Bäcker hörte das sofort. Er selbst sprach englisch auch nicht wie ein Engländer, und Viktoria hatte es fast genauso gesprochen wie diese Frau. Es war ein Zwischenklang darin, der ihm vertraut war.
»Ich heiße Werner Bäcker –«, sagte er auf deutsch. Es war eine Eingebung. Natürlich kann sie kein Deutsch, dachte er. Sie könnte eine Französin sein dem Typ nach, aber sie sprach englisch, also wiederholen wir es so. »I am Werner Bäcker«, sagte er noch einmal. Und er freute sich, als die Frau schwach lächelte.
»Ein Deutscher. Hier ein Deutscher! Alles ist verrückt auf der Welt, nicht wahr?«
Jetzt sprach auch sie deutsch, und Werner Bäcker war nicht einmal erstaunt darüber. Hier verlernt man das Sich-Wundern, dachte er bloß.
»Sie auch?« fragte er. »Natürlich … es ist total verrückt. Mitten im Pazifik auf einer unbewohnten Insel sprechen zwei Menschen deutsch.«
»Ich heiße Anne Perkins.« Die Frau stützte sich auf die Ellenbogen, richtete sich auf, lehnte sich gegen einen der Hüttenpfosten und legte die Hände gegen die Blendung des Meeres über die Augen. Bäcker kniete vor ihr, tauchte einen Lappen in ein Holzgefäß mit Wasser, wusch ihr das letzte Salz vom Gesicht und legte dann den Lappen auf ihre Augen. Sie hielt still, streckte ihm den schmalen Kopf entgegen wie ein Kind, das gewaschen wird, preßte auch wie ein Kind die Lippen aufeinander und kniff die Augen zusammen, als Bäcker mit dem Lappen, die Salzkristalle aus den Augenwinkeln holte. Und wie
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