Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
mußt nur diese Kraft suchen! – Ich glaube, ich habe sie gefunden, Shirley!«
»Und wo?«
»In Annes Schoß. Sie bekommt ein Kind –«
»Ich habe es gerade erfahren.«
»Davon geht eine Kraft aus, die ungeheuerlich ist. Dieses werdende Kind ist auch für mich wie eine tägliche Erneuerung. Daß ich dieses Kind bekommen werde, nachdem ich drei verloren habe, ist ein Wunder, Shirley! Das müssen Sie doch spüren, Shirley. Sie, mit Ihren drei Kindern –«
Shirley senkte den Kopf. Dann griff er zu Hammer und Meißel und half Bäcker, den Spalt in dem mörderischen Stamm zu verbreitern.
»In vier Monaten müssen wir auf dem Meer sein«, keuchte Bäcker, als sie eine Pause machten, sich dehnten und reckten und die heißen Handflächen in den Wind hielten. Die Rücken schmerzten mehr als die Muskeln und die Hände. »Das Kind soll nicht zur Welt kommen wie eine Ratte. – Jetzt bestimmt mein Kind unseren Lebensrhythmus.«
Shirley schaute erstaunt auf. »Wollen Sie, daß es im Gefängnis zur Welt kommt?«
»Nein. Und ich weiß auch, wie ich das verhindern kann. Diesmal, Shirley, werden Sie nachgeben müssen. Oder wir werden noch einmal miteinander kämpfen. Auf Leben und Tod.«
Nach zwei Wochen war die Furche in dem Stamm so tief, daß Bäcker sich entschloß, mit dem Ausbrennen zu beginnen. Anne hatte einen Haufen trockener Äste gesammelt, und Shirley war der Ansicht, man sollte das Ausbrennen unten am Strand vornehmen, um gleich Wasser zur Hand zu haben, wenn das Feuer außer Kontrolle gerate. Außerdem war der Wind am Meer stärker, konnte die Flammen besser anfachen und gab ihnen eine immerwährende Kraft.
Shirley war seit seinem hysterischen Zusammenbruch ein anderer geworden. Er sprach nicht mehr von Papeete, dem dortigen Gefängnis und der Verpflichtung, die Mörderin Anne Perkins dort abzuliefern. Nur einmal wurde er wieder laut, als Bäcker zu ihm sagte:
»Shirley, wenn das Boot fertig ist, müssen wir uns darüber im klaren sein, was geschieht. Es gibt drei Möglichkeiten. Erstens: Wir besteigen zu dritt den Einbaum, und Sie versprechen mir, daß Sie Anne nicht als Gefangene abliefern, sondern ihr die Chance geben, mit meiner Hilfe Entlastungsmaterial zu besorgen. Zweitens: Sie fahren allein, dann gestatten Sie mir, daß ich das Schicksal anflehe, es möge Sie nie ans Ziel kommen lassen. Kommen Sie aber an, dann müssen Sie entscheiden, ob Sie die Polizei auf uns hetzen oder sagen, Anne sei ertrunken. Eine Mistsituation, Shirley. Drittens: Anne und ich nehmen das Boot, und Sie bleiben zurück auf Viktoria-Eiland. Ich werde dann dafür sorgen, daß man Sie abholt, wenn Anne in Sicherheit ist.«
»Mit anderen Worten –«, schrie Shirley – »alles dreht sich um Anne!«
»Alles! Wozu entscheiden Sie sich, Shirley?«
»Für gar nichts! Ich bin Kriminalinspektor und habe eine Pflicht zu erfüllen. Wie oft soll ich das noch sagen? Nicht ich entscheide, ob Anne eine Mörderin ist, sondern das Gericht. Ich liefere sie nur ab, und daran kann mich niemand hindern.«
»Dann möchte ich Sie bitten, Shirley, mir nicht mehr beim Bootsbau zu helfen«, sagte Bäcker. »Sie werden nämlich nie drinsitzen. Da Sie sich nicht entscheiden, entscheide ich. Sie bleiben allein auf der Insel zurück.«
Shirley schwieg verbissen. Was er im geheimen dachte, wußte Bäcker: erst das Boot fertig machen, das andere wird sich dann ergeben. Lag der Einbaum mit Ausleger erst einmal im Wasser, würde es noch einen einzigen Kampf geben, und dieser ging buchstäblich um Tod oder Leben. Dann kam es darauf an, wer wirklich der Stärkere war. Es würde ein Kampf nach dem Urgesetz sein: du oder ich!
Bäcker hatte den Abtransport des Stammes auf den nächsten Morgen festgelegt. Man wollte ihn mit Stangen vor sich herstoßen bis zur Böschung und ihn dann hinabrollen lassen. Das würde keine großen Schwierigkeiten machen. Schwerer würde es schon sein, den Stamm durch den feinen Sand zu rollen. Er würde zu tief einsinken, der Boden gab sicherlich nach, es würde einen kräftezehrenden Kampf um Zentimeter geben. Aber Shirley hatte recht. Ein Ausbrennen war nur in der Nähe von Wasser möglich.
Am Abend vor dem Transport des Stammes suchte Shirley Muscheln in der von der Ebbe wie ein gedeckter Tisch wirkenden Bucht hinter dem Felsen. Er brachte einen ganzen Plastiksack voll mit, garte die Muscheln in der heißen Asche und aß fast vierzig Stück.
»Es ist Sonntag, Bäcker, stimmt's?« lachte er, als er sich satt zurücklegte.
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