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Wer viel fragt

Wer viel fragt

Titel: Wer viel fragt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Z. Lewin
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könne.«
    »Welches Mal war das?«
    »Das zweite Mal.«
     Ich war zweimal auf dem College. Jeweils ganz kurz. Anderthalb Jahre
     beziehungsweise ein halbes Jahr.
    »Wie wenig der Mann
     doch wußte.«
    Das war's. Ich machte den
     Mund zu und nicht wieder auf. Ich war an jenem Tag zur Mittagszeit
     wirklich sehr empfindlich, was Unwissenheit betraf. Und ich brannte
     darauf, mehr zu wissen. Ich fragte: »Fährst du mich jetzt zur
     Bibliothek?«
    »Klar doch.«
    Nur daß er es nicht
     tat, weil Janie den Wagen genommen hatte. Ich glaube, sie kommen ziemlich
     gut miteinander aus. Ich fördere nur immer das Schlimmste in ihnen
     zutage. Trotz all seiner Passivität, die ich bewundere, wäre
     Miller gewiß nicht zwölf Jahre bei einer Frau geblieben, mit
     der ihn nichts verband.
    Ich ging zur Bushaltestelle rüber.
     Ich war ungeduldig.
    Warum, wußte ich nicht.
     Ich merkte es daran, daß ich nicht im Kindermuseum vorbeischaute, um
     mir die Dinosaurier und die Indianersachen anzusehen. Das hatte ich mir
     auf dem Hinweg so halb und halb vorgenommen. Es hat Zeiten gegeben, da
     habe ich in diesem Museum einiges an schwerer Denkarbeit geleistet. Es ist
     einer meiner Lieblingsplätze in Indianapolis. Aber nicht an diesem
     Tag.
    Ich sprang in den Bus und
     brauste zurück, die Meridian Street entlang, dann hinunter durch die
     St. Clair Street zur Bibliothek.

38
    Ich saß in der Schmökerecke
     und hatte den Indianapolis Star vor mir. Einmal habe ich versucht, sie
     dazu zu bewegen, den Morning Telegraph zu abonnieren. Wegen der
     Theaterkritiken, sagte ich, und der Filmkritiken. Ich weiß nicht,
     wie weit die Sache jemals gediehen ist, aber entweder wegen der fünfundsiebzig
     Cent pro Tag oder weil ihr Blatt hauptsächlich über Rennpferde
     berichtet, ist die Sache jedenfalls gestorben.
    Ich blätterte den Star
     durch.
    Während ich das Auf und
     Ab in der großen weiten Welt überflog, grübelte ich über
     meinen eigenen kleinen Fall nach.
    Ich ging meine Notizen durch.
    Dann zog ich zur Abteilung
     Kunst weiter, wo ich mir die Mikrofilme der New York Times vom 1.
     September bis zum 31. Dezember 1954 geben ließ.
    Flüchtige Durchsicht.
     Eine lebhafte Ära. Jede Menge Präsidentengolf.
    Die Times ist ungebührlich
     dick für eine Zeitung. Daher stellte ich die gerade begonnene Tätigkeit
     rasch wieder ein. Ich war mir nicht nur zunehmend sicher, daß nicht
     klassifizierte Leichen in New York keine Nachricht wert sind, sondern auch
     davon überzeugt, daß das hier nicht meine Art von Arbeit war.
    Verdammt, Miller würde
     das für mich erledigen, und zwar effizienter und wahrscheinlich auch
     schneller.
    Daß ich jetzt schon
     anfing, die Drecksarbeit selber zu machen, hieß, daß ich
     langsam ungeduldig wurde. Sehr kindisch. Wer war jetzt das Kind? Guter
     alter Albert. Wie konnte ich ein armes sechzehnjähriges Kind
     runterputzen, weil es einen kindischen Zug hatte, wo ich doch selbst einen
     besaß. Wo doch jeder einen hatte. Ich erlebte einen Augenblick der Zärtlichkeit
     für meine ehemalige Klientin.
    Dann rief ich mir wieder ins
     Bewußtsein, daß es die Quantität der kindischen Züge
     ist, nicht ihre Existenz, die zählt.
    Ich stellte fest, daß
     ich mich verzettelte.
    Ich legte die Mikrofilme weg,
     zurück in ihre kleinen Dosen, und schaltete das Sichtgerät aus.
     Ich versuchte darüber nachzudenken, was zum Teufel ich eigentlich tat
     und was ich eigentlich tun sollte.
    Ich versuchte mir ein paar
     sachdienliche Fragen zu stellen.
    Wie zum Beispiel: Großer
     Al, was solltest du tun? Mir kam der Gedanke, daß ich ursprünglich
     engagiert worden war, den biologischen Vater von Eloise Crystal zu finden.
    Hatte ich das getan?
    Nein, aller
     Wahrscheinlichkeit nach nicht. Ich hatte statt dessen jede Menge anderer
     Dinge gefunden. Halbe Menschen und dergleichen mehr.
    Hmmm. Und wenn ich so drüber
     nachdachte, auch keine halben Menschen. Es waren einfach Hälften von
     Tickets für Hin- und Rückflüge. Das bedeutete einfach Flüge,
     ohne Rückflug.
    Einfache Flüge. Ich sah
     eine ziemlich schlanke, ziemlich hübsche kleine Französin, heute
     nachmittag, fünfzehn Jahre später, in ihrem Apartment in New
     York auf und ab laufen.   
    Wahrscheinlich verheiratet
     und schon lange über die Dinge hinweggekommen, die sie überhaupt
     dorthin gebracht hatten.
    Wohlausgestattet und ohne
     einen Schimmer von der Neugier des mittelmäßigen Detektivs in
     Indianapolis, der versuchte,

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