Wer wir sind
letztes Buch ist nicht nur nicht verboten worden. Es hat schon zwanzigtausend verkauft.«
Mildred freut sich. Sie freut sich für Fallada und Ledig-Rowohlt, sie freut sich für Martha und Boris. Sie freut sichfür sich selbst: Was für ein schöner Tag, Mildred legt den Kopf zurück. Der leuchtende Morgen braust ihr entgegen, und sie sind auf dem Weg zu einem richtigen Schriftsteller. Wie strahlend ist Mecklenburg im Mai. Wie wunderbar ist das wahre Deutschland: die sanften Hügel, die Weite, die Wiesen, die Alleen. Gedichtzeilen fallen Mildred ein, bunt gemischt: Goethe, Whitman, Hölderlin,
Es kommt der neue Tag aus fernen Höhn herunter,
Der Morgen der erwacht ist aus den Dämmerungen –
Das Licht über den mecklenburgischen Feldern wird intensiver. Am westlichen Himmel ballen sich Wolken, oben watteweiß, aber mit dunklen Unterseiten, unter denen die Landschaft in allen Tönen von Grün, Ocker und Lavendel leuchtet.
» Pea-nut Peanut butter Jelly
Pea-nut Peanut butter Jelly!
First you take the peanuts
and you
dig-em, dig-em – «
Martha Dodd singt natürlich englisch. Sie spricht noch immer kaum Deutsch. Sie spricht auch kein Russisch, oder jedenfalls nicht mehr als ein paar jener Vokabeln, die unter allen Umständen ein Ausrufezeichen vertragen,
Dobriy den! Do svidaniya! Spasibo! Poyaluysta!
Boris’ Sprachkenntnisse entsprechen denen Marthas.
You beautiful. Me Russian. Very dangerous! You like? You dance?
Mildred hat noch niemals zuvor gesehen, wie sich ein Paar mithilfe eines Wörterbuchs streitet.
You – c – g – k – n – q – sa – se – sh -si – slut!
Es ist ein ziemlich einzigartiger Anblick. Es ist Mildred rätselhaft. Es ist durchaus bewunderungswürdig: Wie lässt sichein Gefühl wie Wut in voller Stärke konservieren, ohne jede Schwankung, ohne die geringste Modulierung ins Zweifelnde oder Verzeihende, während man sich zugleich auf das Alphabet konzentriert?
Ich – e – g – h – ha – hab – haf – hal – has – HASSE dich!
» – then you
smash-em, smash-em
smash-em smash-em smash-em.
Pea-nut Peanut butter Jelly – «
Die Wolken bedecken jetzt große Teile des Himmels. Es sind violettweiße Gebirge, unter denen die Sonne dünn und grell hervorscheint. Dann fallen die ersten Tropfen, schwer, lässig. Boris ruft etwas. Martha dreht sich um.
»Er fragt, ob wir das Verdeck schließen sollen.«
»Unsinn!«, ruft Ledig-Rowohlt. »Es wird sicher vorbeiziehen.«
Das Grün der Felder leuchtet unnatürlich, in dem fahlen Licht. Der Regen wird heftiger. Er trommelt bereits hörbar auf die Straße, auf die Blätter der Alleebäume, dies ist erregend, gewagt. Mildred hebt dem Wasser das Gesicht entgegen. Sie lacht. Sie lachen alle.
»Juhh! Juhuuu!«
Dann prasselt es ernsthaft los. Der Regen rauscht. Die Erde duftet. Für etwaige Bedenken ist es nun zu spät: Sie sind schon bis auf die Haut durchnässt.
»Juhuhuhuhu!«
» – spread-em, you spread-em,
spread-em spread-em spread-em –«
»Da vorne ist es!«
Die ersten Häuser. Es ist geschafft. Wie auf Kommando reißen die Wolken auf. Die Sonne scheint wieder, aus einem wässrigblauen Himmel, über den Wolkenfetzen jagen.
»Nur zehn Minuten später! Wenn es nur zehn Minuten später angefangen hätte.«
»Wenn wir zehn Minuten früher angekommen wären.«
»Hoffentlich hat Fallada Handtücher.«
»Und Kaffee. Wie sehen wir aus! Wie sehen wir bloß aus.«
»Hoffentlich hat er einen Wodka.«
»Einen Wodka! Einen Wodka für Boris.«
Pea-nut Peanut butter Jelly
Pea-nut Peanut butter Jelly
Die Straße dampft. Blitzend liegen die Tropfen auf der jungen Saat, hängen an Blütenstängeln und Blättern.
»Ist das nicht herrlich?«
»War das nicht herrlich!«
»Ich liebe Deutschland!«
»Wir alle lieben Deutschland! We love Germany!«
Im Februar 1935 legt Arvid die Assessorprüfung ab. Er erhält eine Stelle im Reichswirtschaftsministerium. Und nun taucht auch sein alter Freund Alexander Hirschfeld von der russischen Botschaft wieder auf, der sich letzthin sehr zurückgezogen hatte.
»Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zu Ihrer neuen Position.«
»Nun ja«, sagt Arvid. »Von einer Position kann im Grunde noch nicht die Rede sein.«
»Aber Sie beginnen. Sie werden sich einarbeiten. Sie werden natürlich viel lernen, in nächster Zeit, Sie werden viel erfahren. Ihre jetzige Position verleiht Ihnen damit ganz neue Möglichkeiten.«
Tatsächlich wird es zu Arvids Aufgabenbereich im Ministerium gehören,
Weitere Kostenlose Bücher