Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
Vom Netzwerk:
er seine Pflichten zu erfüllen gedenkt, ob er sich an seine dienstlichen Verpflichtungen gebunden fühlt, ob ihm persönlich die Regierung genehm ist. Wo sollte solche Eigenmacht hinführen? Nach jeder neuen Wendung der Dinge könnte man dann den Bettel hinwerfen, ohne irgendwem Rechenschaft schuldig zu sein. Natürlich versuche ich, solche Gedanken wegzuschieben. Aber dann stürzt es wieder alles auf mich ein. Andererseits, ist man nicht verpflichtet zu handeln, schon wegen all der armen drangsaliertenMenschen, die erst wieder in Frieden leben können, wenn Hitler entmachtet ist?«
    Eine Entmachtung genügt aber nicht. Hitler muss entzaubert werden. Die Macht, die er über die Seelen hat, muss für immer gebrochen werden. Deshalb ist vorgesehen, dass Christels Vater, der allseits hochgeschätzte Psychiater, Neurologe und medizinische Gutachter Professor Karl Bonhoeffer, den Führer Adolf Hitler vor dem Gericht und der Weltgeschichte für geisteskrank erklären wird.
    »So machen wir es.«
    Das sagt Oster zu Beck und Dohnanyi.
    »Genau so machen wir es. Und wenn Halder sich weiterhin ziert, dann machen wir es eben ohne ihn. Wir lassen einfach einen Stoßtrupp in die Reichskanzlei marschieren.«
    »Einen Stoßtrupp?«, sagt Beck. »Wohl eher ein Himmelfahrtskommando. Wer wird sich denn dazu bereit erklären?«
    »Heinz und Liedig. Die waren früher bei der Organisation Consul. Sie sollen ihre alten Freikorpsfreunde zusammentrommeln, das sind die richtigen Leute für so etwas.«
    Friedrich Wilhelm Heinz ist ganz dieser Ansicht. Er willigt freudig in den Vorschlag ein. Sein Stoßtrupp wird in die Reichskanzlei vordringen und den Führer gefangennehmen, und dann geht alles seinen Gang, Hans von Dohnanyi schaut auf die Uhr. Es ist spät. Hans muss los. Beck begleitet ihn. Einen Moment später sitzen Oster und Heinz allein zusammen.
    »So«, sagt Heinz. »Sind die Saubermänner weg? Dann können wir jetzt ja klar miteinander reden. Ich gehe da rein, das ist keine Sache. Aber Hitler absetzen und ihn leben lassen? Das ist Schwachsinn.«
    »Darüber habe ich auch schon nachgedacht«, sagt Oster.»Hitler wird sich womöglich gar nicht zur Abdankung zwingen lassen. Und solange er lebt und Reichskanzler ist, werden sich viele ihm verpflichtet fühlen.«
    Heinz wedelt den Rauch seiner Zigarre fort.
    »Ich sage Ihnen was, Oster. Bei der Verhaftung des Führers wird es leider zu einem Tumult kommen. Dabei wird sich ein Schuss lösen. Und dieser Schuss, es treibt mir die Tränen in die Augen, wird den Kerl umnieten.«
    Und wie wunderbar wäre das. Wie entscheidend würde der Umsturz alles verwandeln. Hans hätte die Aussicht, als Jurist doch noch zu einem erfüllten Dasein zu finden. Und er hätte keinen Ärger mehr wegen des albernen Ariernachweises. Hans’ Großvater Anton Kunwald nämlich war laut seiner von der Synagogengemeinschaft in Ungarn ausgestellten Geburtsurkunde das Kind jüdischer Eltern. In der Familie aber heißt es, eine christliche Mutter habe das Kind unehelich geboren, und diesen Makel sollte die Urkunde tilgen. Die Sache ist Hans eine ständige Last. Der Ariernachweis ist eigentlich für einen Beamten unabdingbar. Minister Gürtner deckt seinen persönlichen Referenten, aber die Lage wird immer prekärer. Vor allem Roland Freisler lässt keine Möglichkeit aus, um Hans wegen des fehlenden Papiers zu drangsalieren.
    Freisler ist Staatssekretär im Reichsjustizministerium. Hans hat sich ihm schon vor Jahren entgegengestemmt, in den Sitzungen der Strafrechtskommission, die den Auftrag hatte, das Strafrecht im nationalsozialistischen Sinn umzugestalten und vor allem die Rechte des Einzelnen zugunsten der Volksgemeinschaft und des Staates zu beschneiden. Hans hat den tobenden, schmollenden, zickigen Freisler immer wieder durch formaljuristische Einwürfe zu mäßigen und zu manipulieren versucht, was der natürlich übelgenommen hat. Undwäre es nicht wunderbar, wenn solche Dinge plötzlich einfach keine Rolle mehr spielten?
    Hans’ Probleme wären mit einem Schlag erledigt. Hans’ Schwager Dietrich Bonhoeffer könnte die Illegalität verlassen und aus seinen pommerschen Wäldern in die Öffentlichkeit zurückkehren. Gerhard Leibholz, der Mann von Dietrichs Zwillingsschwester Sabine, würde nicht länger aufgrund seiner jüdischen Abstammung schikaniert. Der Gang der Geschichte wäre aufgehalten, die Zeit schlüge eine Volte, und alles geriete wieder ins Lot. Woran erkennt man überhaupt, dass die Dinge nicht

Weitere Kostenlose Bücher